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Ins Nordlicht blicken

Ins Nordlicht blicken

Titel: Ins Nordlicht blicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Franz
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mit den Drogen angefangen hat. Vom allerersten Tag ihres Lebens an war sie doch schon kaputt. Die Amis haben sie umgebracht, Pakku, sie und die Hälfte ihrer Familie. Die Amis und ihr Scheiß, mit dem sie die halbe Welt verseuchen.« Er, Jonathan, war da zwölf oder dreizehn gewesen und er hatte sich noch nicht an die Ausfälle seines Vaters gewöhnt. Er hatte abgewartet, bis der hasserfüllte Ausbruch seines Vaters abebbte und er in sein übliches Lamentieren über das Scheißleben im Allgemeinen verfiel. Die plötzliche Wut seines Vaters hatte ihn verwirrt. Er hatte nichts verstanden, hatte geschwiegen und nicht nachgefragt, was ihm jetzt als ein nicht wiedergutzumachendes Versäumnis erschien.
    Jonathan sah auf das grüne Land hinunter, das jetzt in Weiß überging. Es würde noch ein paar Stunden dauern, bis sie in Qaanaaq landeten. In Qaanaaq, der abgelegenen Siedlung im Norden, die von den USA nach wie vorals Militärstützpunkt genutzt wurde. In Qaanaaq, dem gottverlassenen Nest, wo seine Mutter geboren worden war. Wie seltsam, dass ihn die Suche nach seinem Vater auf die Spur seiner Mutter gebracht hatte.

Hamburg, Winter 2011
    Jonathan hielt sich abseits, wenn Lloyd Besuch hatte. Auch heute, an Lloyds fünfzigstem Geburtstag, saß er in dem breiten Fernsehsessel, nippte an einer Cola und beobachtete die Gäste. Lloyds Freunde benahmen sich ganz und gar nicht so, wie er sich Schwule vorgestellt hatte. Sie sahen einfach nur aus wie Leute, die ziemlich viel Geld und keine Probleme hatten. Die meisten waren um die fünfzig, überwiegend in Schwarz gekleidet, die Männer in teuren Anzügen, die Frauen in eng anliegenden Minikleidern, und hatten irgendetwas mit Architektur, Kunst oder Fotografie zu tun. Aber auch die Nachbarn von gegenüber waren da, ein älteres griechisches Ehepaar, dem der Zeitungskiosk in der Straße gehörte. Jonathan hatte bei ihnen gelernt, Tavli zu spielen, das dem Backgammon ähnlich war. Manoli und Eleni waren die Einzigen von Lloyds Bekannten, die er wirklich mochte. Noch nie hatten sie ihn mit diesem abschätzenden Blick angeschaut, mit dem er sonst betrachtet wurde – der undurchschaubare philippinische Junge, den Lloyd bei sich aufgenommen hatte und von dem niemand etwas anderes wusste als seinen Namen.
    Am Anfang hatten sie natürlich alle ihre Witze gemacht. Querido – der Geliebte. Aber inzwischen war es klar, dass dieser Junge für Lloyd eher ein Ersatz für den Sohn war, den er nicht hatte, als ein Liebhaber. Sie beachtetenihn kaum noch. Auf eine traurige Weise wirkte er unberührbar.
    Nur in den ersten Tagen – oder vielmehr Nächten – hatte Lloyd mit dem Gedanken gespielt, den Jungen zu verführen. Doch Jonathan hatte so viel Teilnahmslosigkeit und gleichzeitig Verzweiflung ausgestrahlt, dass sich Lloyd auf Abstand gehalten hatte. Und dabei war es geblieben. Aber er hatte ihn überallhin mitgenommen. Ins Theater, ins Kino, ins Museum. Jonathan hatte nach und nach weniger Stunden vor dem Computer verbracht. Im Sommer waren sie an die Ostsee gefahren, wo er Schwimmen und Frisbeewerfen gelernt hatte. Lloyd war immer wieder erstaunt gewesen, was dieser Junge alles nicht wusste und nicht konnte.
    Doch auch Jonathan hatte Lloyd etwas beigebracht, und das war Backgammonspielen. Bei einem Flohmarktbummel hatte er ein schönes hölzernes Brett entdeckt und ihn dazu überredet, es zu kaufen.
    »Du hast keine Ahnung, wie das geht, oder?«, hatte er gefragt. Dann hatte er Lloyd die Regeln erklärt und sie hatten einen ganzen Abend damit zugebracht, die Steine über das Brett zu schieben. Lloyd hatte sich gewundert, dass Jonathan dieses altmodische Spiel mit solch einer Selbstvergessenheit spielen konnte. An diesem Tag hatte Jonathan ihm zum ersten Mal etwas Persönliches verraten.
    »Ohne dieses Spiel würdest du mich nicht kennen«, hatte er gesagt und dabei so etwas wie ein Lächeln zustande gebracht. Als Lloyd mehr wissen wollte, hatte Jonathan geschwiegen. Nein, nichts, absolut nichts wollte er von seinem früheren Leben erzählen.
    Jetzt saß er inmitten der Gäste im Sessel und hatte seine gewohnt finstere Miene aufgesetzt.
    Manoli, der neben seiner Frau an der Theke stand, nickte ihm zu. »Langweilst du dich?«, rief er über das Stimmengewirr hinweg.
    Jonathan schüttelte den Kopf, aber Manoli kam trotzdem zu ihm hinüber. »Sollen wir ein Spiel machen?«, fragte er, zog einen runden Lederhocker neben den Sessel und ließ sich schwerfällig darauf nieder.
    Doch Jonathan

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