Ins offene Messer
Doppel-Selbstmord.
Irgendwann im Verlauf des Abends kam sie zum Sofa und setzte sich neben ihn, legte eine Hand auf sein Bein. Sie saß eine ganze Weile da, lehnte den Kopf an seine Schulter, küßte ihn dann auf die Wange und suchte mit ihren Lippen nach seinem Mund. Sie war gespannt auf seine Reaktion, und Sam ließ einen trockenen Kuß über sich ergehen. Er sagte: «Weißt du, zu einem anderen Zeitpunkt ist das vielleicht okay.»
«Tut mir leid», sagte sie.
Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Nach etwa zwanzig Minuten ging sie hinauf ins Bett. «Es regnet», sagte sie. «Kein Problem, wenn du mich weckst. Falls du mich brauchst.»
Als Gus kam, ging Sam durch das Coppergate Centre nach Hause. Es war eine kalte Nacht, es regnete stark, und drei der Hauseingänge waren belegt. In keinem davon befand sich Geordie. Als Sam nach Hause zurückkam, schaute er zuerst in der Wohnung oben nach. Alles wie zuvor. Seine eigene Wohnung wurde von dem Porträt der Blondine beherrscht. Der Junge war nicht zurückgekommen. Sam ging ins Bett und schlief.
Um neun kam Celia und weckte ihn. Ihre Jacke war triefnaß. «Gestern hatten wir kein Glück», sagte sie. «Ich werd’s heute wieder versuchen. Wanda fährt nach Leeds.»
«Erzählen Sie mir aus der Perspektive einer Frau», sagte er, «etwas über Jane Deacon. Was hat sie vor?»
«Ich glaube kaum, daß ich objektiv sein kann, was sie betrifft», antwortete Celia. «Ich habe kein gutes Gefühl bei ihr.»
«Ich auch nicht», sagte Sam. «Aber ich komme einfach nicht dahinter, was es ist. Geordie hat gesagt, sie mag ihn nicht, er fand, man kann sie vergessen, und dann schenkt sie ihm die komplette Garderobe ihres Mannes.»
Celia lächelte. «Das hat sie Ihretwegen gemacht, Sam, nicht für Geordie. Sie sind es, den sie haben will. Sie glaubte, über ihn an Sie herankommen zu können.»
«Aber warum, Celia? Sie hat doch gerade erst ihren Mann beerdigt. Warum ist sie so scharf auf mich?»
Celia rümpfte die Nase. «Vielleicht besitzt sie kein Herz», sagte sie.
Sam hatte Leute gekannt, viele Leute, deren Ehen in die Brüche gegangen waren. Alle seine Freunde, keine ihrer Beziehungen hatte gehalten. Sie kamen zu ihm und sagten: «Es wäre besser gewesen, wenn er/sie gestorben wäre. Dann wär’s keine so große Enttäuschung.» Sie wußten nicht, was sie da redeten. Ein Jahr später kamen sie wieder zu ihm und sagten: «Es war wirklich das beste so.»
So zu sterben, ohne ihm die Chance zu geben, Lebewohl zu sagen, bedeutete, daß sie nie gestorben war. Sie lebte nicht, und sie starb nicht. Sie war immer da, irgendwo ganz nahe am Rand seines Bewußtseins; wenn er ihr die Chance gab, brach sie in einem Kaleidoskop an Schnappschüssen über ihn herein, ließ ihn in einen Schrei taumeln.
Man lernt manche Dinge. Er konnte saufen, bis Geordie und Donna in einen winzigen Winkel seines Hinterkopfs zurücktraten. Und ob er das konnte, kein Problem. Mußte einfach nur in den Supermarkt und ein paar Flaschen kaufen. Kein Problem.
Aber das würde er nicht tun.
Gegen fünf Uhr nachmittags hörte es auf zu regnen. Kurz darauf drückte Wanda die Tür auf und stand dort. «Ich habe jemanden mitgebracht, der dich sehen möchte», sagte sie. Sie trat zur Seite, und Barney kam herein. Er durchquerte den Raum und schmiegte sich an Sams Bein.
Geordie tauchte in der Tür auf und wirkte sehr klein. Er hatte die Lederjacke an und diese alberne kleine Mütze. Sam wuchtete sich aus dem Sessel und machte einen Schritt auf ihn zu. Der Junge trat ebenfalls vor, und in der Zimmermitte standen sie dann voreinander.
«Das Bündel», sagte Geordie mit ruhiger Stimme. «Das Geld. Ich hab’s noch.» Er hob seine Hand zur Innentasche der Lederjacke, aber Sam fing sie ab. Einen Augenblick hielt er Geordies Handgelenk, dann nahm er ihn in die Arme und drückte ihn an sich.
«Sag nichts», sagte er.
Geordie legte seine Arme um Sams Rücken, und so standen sie eine Weile da, Sams Kopf an Geordies Hals vergraben, und Geordies Gesicht an Sams Schulter. Als sie sich trennten, hielt Sam ihn auf Armeslänge von sich und schaute in sein komisches, kleines weißes Gesicht.
Geordie griff wieder nach seiner Tasche. «Ich hab das Geld, Sam», sagte er.
Sam packte das Handgelenk. «Davon weiß ich nichts», sagte er. «Ich gehe jetzt spazieren. Wenn ich zurückkomme, werde ich nach meinem Geld im Schlafzimmer sehen. Ob’s noch da ist.» Er schaute zur Tür. «Was ist aus Wanda
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