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Ins offene Messer

Ins offene Messer

Titel: Ins offene Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Baker
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gegangen sein. Wollte nicht zu spät kommen, hatte nicht mal Zeit für ein Frühstück.
    «Nein», sagte Celia am Telefon. «Er ist nicht hier aufgetaucht.»
    «Wo steckt er?» fragte Sam. «Ich dachte, er wär mit dem Hund spazieren.»
    «Vielleicht hat er genau das auch gemacht», sagte Celia. «Manchmal vergessen Jungs in diesem Alter einfach die Zeit. Hat er Geld?»
    «Ein bißchen. Ein paar Pfund.»
    «Vielleicht ist er in ein Cafe gegangen. Ich bin sicher, er wird schon bald wieder auftauchen.»
    «Ich will’s hoffen», sagte Sam. «Ich habe keinen Schimmer, wohin er gegangen sein könnte.»
    «Ich rufe sofort an, wenn er hier aufkreuzt.»
    Sam legte den Hörer auf. Die Stimme des Burschen kam ihm wieder in den Kopf: Meine Frau macht sich schreckliche Sorgen. Ich auch, dachte Sam. Der alte Magen begann sich zusammenzuziehen. Mein Gott, ihm konnte alles mögliche zugestoßen sein. Ein Unfall, irgendein verfluchter betrunkener Autofahrer. Noch eine Stunde, dann würde er das Krankenhaus anrufen. Vielleicht war der Junge ja auch verhaftet worden, beim Ladendiebstahl erwischt, irgend so etwas. Die Möglichkeiten waren horrend.
    Nach einer Stunde beschloß er, im Schlafzimmer nachzusehen, ob das Bargeld noch da war. Das würde ihm einen Anhaltspunkt geben. Wenn das Geld noch da war, wüßte er, daß es ein Unfall gewesen war. War das Geld weg, würde er wissen, daß der Junge ihn bestohlen hatte und abgehauen war. Er schaute nicht nach. Er blieb im Sessel sitzen und versuchte an etwas anderes zu denken. Ein Auto war schon einmal um eine Ecke geschossen und hatte ihm sein ganzes Leben geraubt. Er hatte gehofft, es hätte nur sein halbes Leben genommen, seine Tochter, und daß Donna wieder zu Bewußtsein kommen und wieder zu leben beginnen würde. Das hatte er zehn Tage gehofft, bevor er ihnen sagte, sie sollten die Maschine abschalten. Donna wäre nie wieder zu Bewußtsein gekommen, und wenn doch, dann hätte sie nicht mehr gewußt, wer sie war. Er hatte stundenlang ihre Hand gehalten, hatte all diese Schläuche angestarrt, mit denen sie verbunden war. Beobachtete den gleichmäßigen Puls auf dem Monitor. Ihre Hand fühlte sich an wie aus Holz. Wie ein Stück Holz. Etwas, das man aufhob und hielt, ein Gegenstand ohne Gefühle.
    Sie war weg vom Fenster. Er hatte sich über das Bett gebeugt, um Lebewohl zu sagen, küßte sie auf die Wange, auf den Mund. «Lebewohl, mein Schatz.» Nichts. Nicht einmal das Zucken einer Wimper. Sie war bereits tot. Die Maschine war eine Lüge. Das Atmen eine Illusion. Donna war weit, weit weg, an einem völlig andren Ort.
    Irgendwo jenseits der Schmerzen, jenseits jeder Realität, die Sam sich vorstellen konnte.
    Nach einer halben Stunde kam Gus herein. Sam erhob sich nicht aus dem Sessel. Gus füllte den Kessel mit Wasser und stellte ihn auf die Herdplatte. Er setzte sich auf den Sessel gegenüber Sam. «Was gibt’s Neues?» fragte er.
    Sam sah ihn an, sagte nichts.
    «Ist irgendwas nicht in Ordnung?»
    «Geordie ist verschwunden», sagte er.
    «Verschwunden? Wann?»
    «Keine Ahnung», sagte Sam. «Könnte irgendwann während der Nacht gewesen sein. Vielleicht auch erst heute morgen. Er war nicht hier, als ich aufgestanden bin.»
    «Dachte schon, er würde jetzt zum Inventar gehören», meinte Gus. «Kein Zettel, gar nichts?»
    Sam schüttelte den Kopf.
    «Fehlt irgendwas?»
    «Seine Lederjacke. Die hat er mitgenommen.»
    «Geld?»
    Sam sagte nichts. Nach einem Augenblick preßte er die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf.
    «Glaubst du, er ist zurück auf die Straße? Oder was?»
    «Ich weiß es nicht», sagte Sam. «Könnte einen Unfall gehabt haben.»
    «Hast du das Krankenhaus angerufen?»
    «Nein.»
    «Soll ich’s tun, ich kann das machen.»
    Sam nickte.
    «Hast du heute morgen mit diesem Burschen geredet, dessen Tochter vermißt wird?»
    «Ja. Ich bin noch nicht dazu gekommen, einen Bericht zu schreiben. Steht alles in meinem Notizbuch.» Er deutete auf den Tisch.
    Gus nahm das Notizbuch in die Hand und zog ein Foto des Mädchens heraus. «Sie ist jung», sagte er. Er kopierte Sams Anmerkungen in sein eigenes Notizbuch. «Ich übernehm das hier», sagte er. «Gehst du heute abend zu Jane?»
    Sam nickte. «Alles läuft weiter wie immer», sagte er, versuchte es mit einem Lächeln, das sich wie ein Grinsen anfühlte. Schrecklich anfühlte. «Irgend etwas stimmt nicht mit Jane Deacon.» Er erzählte Gus von der Sache mit ihrer Schwester.
    «Ja», sagte Gus. «Meinst du, sie

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