Insel aus Stein: Mittsommerglück (German Edition)
Zeitpunkt kannte ich Liam noch gar nicht.”
“Vielleicht hat sie diese alte Sache ja auch schon längst vergessen”, versuchte Francis sie zu beruhigen. “Immerhin hat sie ihren Mann ja zurückbekommen, nicht wahr?”
Doch darauf wollte Cassie sich lieber nicht verlassen. Die Frage war bloß, was sie jetzt unternehmen sollte. Janet Masterson war ihre neue Chefin – konnte es überhaupt noch schlimmer kommen?
Diese Frau hatte schon einmal ohne mit der Wimper zu zucken ihre gesamte Existenz ruiniert. Als ihr Mann reumütig zu ihr zurückgekehrt war, hatte sie darauf bestanden, dass der Verlag Cassie rauswarf. Entweder das, oder ihr Mann würde sich einen anderen Verleger für seine Romane suchen. Die kleine Erpressung hatte den gewünschten Erfolg gebracht. Cassie hatte von einem Tag auf den anderem vor dem Nichts gestanden. Und jetzt schien ihr dasselbe Schicksal erneut bevorzustehen. Nicht zum ersten Mal wünschte sie sich, Liam Masterson niemals begegnet zu sein.
Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, in Selbstmitleid zu versinken. Sie musste kämpfen! Sicher wartete ihre ehemalige Rivalin bloß auf eine günstige Gelegenheit, sie sich endgültig vom Halse zu schaffen. Und genau diese Chance durfte Cassie ihr nicht liefern.
Dummerweise bedeutete das, dass sie mit einer möglichst bombastischen Erfolgsmeldung nach Hause zurückkehren musste. Und Cassie war nach wie vor schleierhaft, wie sie das ohne Dales Kooperation bewerkstelligen sollte. Es sei denn …
Sie nickte. Es brachte alles nichts, sie musste jetzt endlich Nägel mit Köpfen machen. Schon viel zu lange hatte sie sich von Dale an der Nase herumführen lassen, nun war es Zeit, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Auch wenn sie schon jetzt das schlechte Gewissen plagte, sie durfte einfach nicht tatenlos herumsitzen und abwarten. Wenn Dale ihr das Manuskript nicht freiwillig überlassen wollte, war sie eben gezwungen, zu anderen Mitteln zu greifen.
Verstohlen blickte Cassie sich auf dem Korridor um, doch wie erwartet war Malin unten in der Küche, und die beiden Mädchen spielten wahrscheinlich draußen im Garten. Die Luft war demnach rein, und eine günstigere Gelegenheit würde sich wohl niemals ergeben. Dass Dale am Morgen mit der Skägård rausgefahren war, musste ein Wink des Schicksals sein.
Vorsichtig schlich sie zur Tür von Dales Arbeitszimmer herüber. Sie war nicht sonderlich verwundert, sie verschlossen vorzufinden. Da sie alles andere als bewandert auf dem Gebiet des Einbrecherhandwerks war, konnte sie von Glück reden, dass sie vor ein paar Tagen eine interessante Entdeckung gemacht hatte: Die Schlösser sämtlicher Türen in der oberen Etage waren identisch, sodass man mit jedem Schlüssel jede beliebige Tür öffnen konnte.
Ihr klopfte das Herz bis zum Hals, als sie nun ihren eigenen Zimmerschlüssel ins Schloss von Dales Tür steckte und ihn herumdrehte. Er passte tatsächlich! Unten am Treppenabsatz erklangen Schritte, und Cassie beeilte sich, in den Arbeitsraum zu schlüpfen und die Tür lautlos hinter sich zu schließen. Geschafft. Sie drehte sich um – und erstarrte.
“Nein”, hauchte sie voller Entsetzen, als sie mit der Hand über einen der Papierstöße strich, die sich auf jeder freien Fläche des Raumes auftürmten. Sie nahm ein Blatt zur Hand, dann das nächste. Das konnte – das durfte! – einfach nicht wahr sein! Immer hektischer wühlte sie sich durch die fein säuberlich aufgeschichteten Seiten, immer mit demselben Ergebnis – es handelte sich tatsächlich um das Rohmanuskript von Dale Prescotts jüngstem Roman
Einsame Herzen
. Wenn ein Roman jemals den Namen
Die Unendliche Geschichte
verdient hatte, dann war es wohl dieser hier.
Was für eine Katastrophe! Beinahe wäre Cassie in hysterisches Gelächter ausgebrochen, als sie daran dachte, dass sie eine Weile lang angenommen hatte, Dale litte an einer Schreibblockade. So wie es sich ihr jetzt darstellte, war eher das Gegenteil der Fall! Er schien mit dem Schreiben gar nicht mehr aufhören zu können!
Mit einem atemlosen Keuchen ließ sie sich auf Dales Schreibtischstuhl sinken und schüttelte den Kopf. Das Schicksal schien sich gegen sie verschworen zu haben – dies war das endgültige Aus für die Lektorin Cassie Dorkins aus London.
7. KAPITEL
D ale hatte gehofft, ein Tag draußen auf See würde ihm helfen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen, doch er hatte sich getäuscht. Die ganze Zeit über hatte er ständig an Cassie denken müssen. An sie
Weitere Kostenlose Bücher