Insel aus Stein: Mittsommerglück (German Edition)
worden waren. Ein falscher Schritt konnte den sicheren Tod bedeuten, selbst für einen Menschen. Deshalb hatte Malin ihren beiden Enkeltöchtern auch immer wieder eingeschärft, keinesfalls auf eigene Faust den rückwärtigen Teil von Svergå zu erforschen.
Ein eisiger Schauer rieselte Dales Rückgrat hinunter, als das Bild seines Hundes vor seinem geistigen Auge auftauchte. Hilflos und verletzt in einem der tiefen Erdgruben, vielleicht sogar verschüttet und …
Hör auf! Es hat noch nie jemandem geholfen, den Teufel an die Wand zu malen, rief er sich streng zur Ordnung. Wahrscheinlich trieb Ole sich einfach irgendwo herum, jagte Wildkaninchen und Möwen hinterher und amüsierte sich königlich.
Doch sosehr sich Dale auch bemühte, es wollte ihm einfach nicht gelingen, sich zu beruhigen.
“Ole! Nun komm endlich her! Du hattest deinen Spaß, jetzt reicht’s!”
Wieder regte sich nichts. Leise raschelnd fuhr der Wind durch die Sträucher, aus der Ferne war das Rauschen der Brandung und das Schreien der Möwen zu hören – sonst nichts.
Warum hatte diese verantwortungslose Person auch nicht vernünftig aufpassen können! Einen Hund wie Ole band man nicht einfach irgendwo an einem Ast fest, und wenn schon, dann überprüfte man zuvor wenigstens den Sitz seines Halsbandes! Aber was hatte er erwartet? Ihm war doch von Anfang an klar gewesen, dass diese Frau nichts als Ärger bringen würde!
Er lief weiter und rief dabei immer wieder nach seinem Hund. Er musste ihn einfach finden. Ole war weit mehr als nur irgendein Haustier für ihn. Wie die Skägård war auch der Hund ein Teil von Annikas Erbe. Sie hatte den kleinen Streuner adoptiert und aufgepäppelt. Jetzt, wo sie nicht mehr für ihn sorgen konnte, trug Dale die Verantwortung für ihn. Wenn er jetzt wieder versagte …
Nein, so etwas darfst du nicht einmal denken, sagte er sich und rief abermals nach dem Hund. Sein Herz machte einen erleichterten Hüpfer, als er aus einiger Entfernung ein leises Kläffen vernahm. Dann sah er ein beige-braun geflecktes Fellbündel, das aus dem Unterholz herausschoss und direkt auf ihn zugelaufen kam.
“Ole!” Ein Stein von der Größe eines Felsbrockens fiel Dale vom Herzen. Er kniete nieder und schloss erleichtert seinen Hund in die Arme. Dass sein Hemd dabei mit Schlammspritzern übersät wurde, kümmerte ihn nicht im Geringsten. “Wo hast du denn gesteckt, alter Streuner? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Tu so etwas ja nie wieder, hörst du?”
Der Hütehund wedelte freudig mit dem Schwanz und rieb seine Schnauze am Kinn seines Herrchens. Es schien fast, als wolle er sich dafür entschuldigen, so einen Ärger verursacht zu haben.
Dale lachte. “Ist ja schon gut, mein Alter, jetzt ist ja alles wieder in Ordnung. Aber deinetwegen habe ich Cassie eben ganz schön angeraunzt. Ich glaube, ich muss mich bei ihr entschuldigen.”
Der Hund kläffte zustimmend und trottete lammfromm neben seinem Herrchen her, als dieser den Rückweg einschlug. Schon von Weitem erkannte Dale die zierliche Gestalt, die angestrengt nach ihnen Ausschau hielt. So auch Ole. Laut bellend stob der Hund davon und hätte Cassie um ein Haar umgeworfen, als er zur Begrüßung an ihr emporsprang.
“Ist ja schon gut, ist ja schon gut!” Cassie schob Ole von sich und tätschelte ihm erleichtert den Kopf. “Ich weiß ja, dass du ein braver Junge bist.” Sie blickte zu Dale, und ihr Lächeln schwand. “Bei gewissen anderen Personen bin ich mir da jedoch nicht so sicher.”
“Hören Sie, Cassie, es tut mir leid, ich …”
Die Lektorin winkte ab. “Sparen Sie sich das! Auf ihre Entschuldigungen kann ich getrost verzichten. Wenn Sie allerdings wirklich etwas für mich tun wollen, dann geben Sie mir endlich Ihr Manuskript und lassen mich gefälligst meine Arbeit machen.”
Mit diesen Worten wandte sie sich ab und kehrte zum Haus zurück. Dale stand noch einen Moment lang da und schaute ihr nachdenklich hinterher. Es war merkwürdig, doch er hatte tatsächlich beinahe den wahren Grund für Cassies Anwesenheit auf Svergå vergessen. Seit ihrem Ausflug nach Värholm fiel es ihm schwer, sie weiterhin als Eindringling zu betrachten. Doch ihre Worte hatten ihm die Zwangslage, in der er steckte, wieder deutlich vor Augen geführt.
Jetzt war guter Rat teuer. Eine kurze Weile lang war es ihm gelungen, sie von ihrer eigentlichen Aufgabe abzulenken, aber es war mehr als fraglich, ob ihm das weiterhin gelingen würde. Er musste sich etwas einfallen
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