Insel aus Stein: Mittsommerglück (German Edition)
als stünde statt der dunkelhaarigen Lektorin eine hübsche, lebenslustige blonde Frau vor ihm, die er einmal sehr gut gekannt hatte. Doch eine Sekunde später war das Bild verschwunden!
“Ich … Es geht schon wieder”, sagte er, überrascht darüber, wie rau und schwach seine eigene Stimme klang. “Mir war nur kurz ein wenig übel. Ich leide beizeiten immer noch unter leichter Seekrankheit.”
Ihrem skeptischen Gesichtsausdruck konnte er entnehmen, dass sie ihm diese fadenscheinige Erklärung nicht abnahm. Doch was sollte er tun? Ihr die Wahrheit sagen? Ihr erklären, was er gesehen zu haben glaubte? Auf keinen Fall. Sie würde ihn ganz sicher für verrückt erklären.
“Lieber Himmel, wie schön!”
Värholm war mehr Dorf als Kleinstadt mit seiner engen Hauptstraße, die gesäumt war von vanillegelben und lindgrünen Häusern. Kein Gebäude besaß mehr als zwei Stockwerke, und die Fenster und Türen waren mit strahlend weißer Farbe umrandet. Die Straße führte direkt von dem kleinen Hafen bis hin zum Marktplatz, an dessen Kopf das bildschöne, zartblau gehaltene Rathaus stand, dessen Giebel ein kleines Türmchen krönte.
Es gab einen kleinen Supermarkt, doch bei den meisten Geschäften schien es sich um alteingesessene Familienbetriebe zu handeln. Cassie entdeckte einen Metzger und einen Schneider. Aus der weit offen stehenden Tür einer Bäckerei drang der köstliche Duft frisch gebackener
Chokladtårta
, einer speziellen Art von Schokoladenkuchen, der Cassie das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ.
Jetzt standen Dale und sie vor einem kleinen Laden, in dessen Schaufenster handgeschnitzte Pferde, einige klein wie Streichholzschachteln, andere von der Größe von Schaukelpferden, ausgestellt waren.
“Das sind Dala-Pferdchen”, erklärte Dale. “Heutzutage praktisch
das
Souvenir schlechthin für jeden Schwedenurlauber. Ursprünglich stammen sie aus der Region Dalarna und wurden von Bauern geschnitzt, um sich die langen Winterabende zu vertreiben.”
“Sie sind wunderhübsch. Und diese leuchtenden Farben und Muster!”
“Alle diese Ornamente und Zeichnungen folgen jahrhundertealter Familientraditionen, die Grundfarbe ist jedoch zumeist rot.”
Erstaunt schaute Cassie ihn an. “Sie kennen sich ziemlich gut aus. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich besonders für Kunsthandwerk interessieren.”
Er lachte. “Warum? Weil ich ein Mann bin? Aber Sie haben recht, mein Wissen rührt eher daher, dass meine …” Er stockte, und Cassie glaubte zu sehen, dass sich seine Augen für einen kurzen Moment verdunkelten. Dann jedoch sprach er weiter, als sei nichts geschehen. “Ich kannte mal jemanden, der Dala-Pferdchen gesammelt hat, das ist das ganze Geheimnis.”
An einem kleinen Eisladen machten sie Rast und gönnten sich eine große Portion Erdbeereis mit Schlagsahne, bevor sie ihren Weg fortsetzten. Bald hatten sie den Ort hinter sich gelassen, und die Hauptstraße von Värholm ging in eine schmale Landstraße über. Zu beiden Seiten erstreckten sich üppig blühende Wiesen, die in ihrer Pracht alles übertrafen, was Cassie jemals gesehen hatte.
Rosen in allen Rottönen, Rittersporn und Hibiskus wetteiferten miteinander, und im Schatten einiger hoher Kastanien lag ein kleiner Weiher, auf dessen Oberfläche Enten ihre Kreise zogen.
Ole begann heftig an seiner Leine zu zerren und jaulende Klagelaute auszustoßen, bis sein Herrchen sich schließlich seiner erbarmte und ihn losmachte. Wie ein Blitz schoss der beige-braune Hütehund über die Wiese, sprang ausgelassen herum und setzte schließlich einem Kaninchen hinterher, das so leichtsinnig gewesen war, den Kopf aus seinem Bau zu strecken.
Lachend beobachtete Cassie die wilde Verfolgungsjagd. Sie konnte kaum glauben, wie schön es hier war. Diese Mischung aus sanfter Idylle und wildwüchsiger Natur ließ sich mit nichts vergleichen, was London zu bieten hatte. Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, wie es wohl wäre, in einer solchen Umgebung zu leben, doch dann schüttelte sie den Kopf. Sie war nicht für ein Leben auf dem Lande geschaffen. Früher oder später würde sie den Trubel und das geschäftige Treiben der Großstadt ganz sicher vermissen.
“Was ist? Haben Sie auch so einen Bärenhunger wie ich?” Dale stieß einen Pfiff aus, der Ole auf der Stelle gehorsam zu seinem Herrn zurückkehren ließ.
“Hunger?” Cassie lachte. “Ich falle auf der Stelle um, wenn ich nicht bald etwas zu essen bekomme. Aber ich glaube kaum, dass
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