Insel der blauen Delphine
die Sonne auf. Der Nebel begann sich zu lichten. Ich schaute in die Bucht hinab. Der kleine Hafen lag verlassen da. Das Aleuterschiff mit dem roten Schnabel und den roten Segeln war verschwunden. Mein erstes Gefühl war Freude, weil ich die Höhle endlich verlassen und in mein Haus auf der Anhöhe zurückkehren konnte. Ich stand auf dem hohen Felsen und blickte auf den verlassenen Hafen und den leeren Strand hinunter und dann dachte ich an Tutok. Ich dachte an die vielen Tage, da wir zusammen in der Sonne gesessen hatten. Ich hörte ihre Stimme und sah das Blinzeln ihrer schwarzen Augen, wenn sie lachte. Drüben am Klippenrand bellte Rontu die krächzenden Möwen an. Unter mir im blauen Wasser schnatterten die Pelikane und von ferne konnte ich das Brüllen eines Elefantenbullen hören. Und doch, seit ich an Tutok dachte, schien es auf der Insel plötzlich still geworden zu sein.
Kapitel 23
Die Jäger ließen viele verwundete Otter zurück. Einige trieben an Land, wo sie verendeten, andere tötete ich mit meinem Speer, weil sie Schmerzen hatten und nicht weiterleben konnten. Ich fand jedoch einen jungen Otter, der nicht schwer verletzt war. Er lag auf einer Salzkrautbank, und wenn Rontu nicht gebellt hätte, wäre ich achtlos an ihm vorbeigepaddelt. Eine Salzkrautsträhne schlang sich um seinen Körper. Ich dachte erst, der Otter schlafe, denn ich hatte schon oft gesehen, wie die Otter sich zum Schlafen auf diese Weise festbinden, um nicht fortgeschwemmt zu werden. Dann aber sah ich die klaffende Wunde an seinem Rücken. Der Otter machte keinen Versuch davonzuschwimmen, als ich nahe an ihn heranfuhr und mich seitlich aus dem Kanu beugte. Otter haben große Augen, besonders wenn sie jung sind, die Augen dieses Tieres aber waren so groß von Angst und Schmerzen, dass ich mein Spiegelbild in ihnen sehen konnte. Ich schritt das Salzkraut von seinem Körper und nahm ihn mit zu einem stillen Fluttümpel hinter dem Riff. Nach dem Sturm hatte sich das Meer geglättet und ich fing zwei Fische beim Riff. Ich achtete darauf, sie lebend zu fangen, denn Otter fressen keine toten Dinge. Ich warf die Fische in den Tümpel. All dies geschah am frühen Morgen. Am Nachmittag kehrte ich zum Tümpel zurück. Die beiden Fische waren verschwunden und der Otter lag schlafend auf dem Rücken im Wasser. Es war nutzlos, seine Wunden mit Kräutern zu behandeln; im salzigen Meerwasser würden sie am ehesten heilen und die Kräuter wären ohnehin gleich wieder fortgeschwemmt worden. Jeden Tag fing ich zwei Fische, die ich in den Tümpel warf. Der junge Otter fraß nichts, solange ich dabeistand und ihm zuschaute. Später brachte ich vier Fische täglich, die ebenfalls verschwanden, und zum. Schluss brachte ich sechs. Das schien die richtige Zahl zu sein. Ich fischte jeden Tag, bei schönem und bei stürmischem Wetter. Der Otter wuchs zusehends und seine Wunde begann zu heilen, doch er blieb im Tümpel und jetzt wartete er jedes Mal auf mich, wenn ich kam, und nahm mir den Fisch aus der Hand. Der Tümpel war nicht groß. Der Otter hätte leicht ins offene Meer hinausschwimmen können. Aber er blieb und schlief oder wartete, bis ich mit seinem Fressen kam. Er war jetzt so lang wie mein Arm und hatte ein spiegelglattes, schimmerndes Fell. Seine lange Nase endete in einer Spitze und darunter wuchs ein dichter Schnauzbart. Er hatte die größten Augen, die ich je gesehen habe. Sie beobachteten mich die ganze Zeit, während ich mich am Tümpel aufhielt, sie folgten mir, was immer ich tat, und wenn ich etwas sagte, verdrehten sie sich auf eine sehr komische Art. Und doch verspürte ich einen sonderbaren Schmerz in der Kehle, wenn ich dies sah. Die Augen waren fröhlich und traurig zugleich. Lange nannte ich ihn einfach Otter, wie ich Rontu einst Hund genannt hatte. Dann beschloss ich, ihm einen Namen zu geben. Ich nannte ihn Mon-a-nee, das bedeutet “kleiner Junge mit großen Augen”. Es war anstrengend, jeden Tag sechs Fische zu fangen, besonders wenn ein starker Wind wehte und die Wellen hoch gingen. Einmal, als ich nur zwei Fische fangen konnte und sie in den Tümpel warf, verschlang Mon-a-nee sie hastig und wartete auf mehr. Als er sah, dass dies alles war, was ich besaß, schwamm er im Kreise umher und schaute mich vorwurfsvoll an. Am folgenden Tag gingen die Wellen so hoch, dass ich selbst bei Ebbe nicht auf dem Riff fischen konnte, und da ich nicht mit leeren Händen zum Tümpel gehen wollte, ließ ich es bleiben. Drei Tage vergingen, ehe
Weitere Kostenlose Bücher