Insel der blauen Delphine
stand Tutok auf und hob die Hand wie zum Abschied. “Mah-nay”, sagte sie und wartete darauf, dass ich ihr meinen Namen nannte. “Won-a-pa-lei”, antwortete ich, denn das bedeutet, wie ich schon sagte, “das Mädchen mit dem langen schwarzen Haar”. Meinen geheimen Namen verriet ich ihr nicht. “Mah-nay, Won-a-pa-lei”, sagte Tutok. “Pah-say-no, Tutok”, erwiderte ich. Ich schaute ihr nach, als sie sich durch das Gestrüpp entfernte. Lange stand ich vor der Höhle und lauschte ihren Schritten nach, bis ich sie nicht mehr hören konnte. Dann kehrte ich zu meinem Haus auf dem Felsen zurück und trug alle meine Körbe wieder in die Höhle. Tutok kam auch am nächsten Tag. Wir saßen auf dem Stein an der warmen Sonne, tauschten Wörter aus und lachten. Die Sonne wanderte schnell über den Himmel. Bald kam der Augenblick, da sie ins Lager zurückkehren musste, doch am nächsten Tag kam sie wieder. Und da geschah es, dass ich ihr beim Abschied meinen geheimen Namen verriet. “Karana”, sagte ich, mit dem Finger auf mich deutend. Tutok wiederholte das Wort, verstand aber nicht, was damit gemeint war. “Won-a-pa-lei?”, fügte sie in fragendem Ton hinzu. Ich schüttelte den Kopf. “Karana”, sagte ich wieder mit der gleichen Gebärde wie das erste Mal. Ihre schwarzen Augen öffneten sich weit. Langsam begann sie zu lächeln. “Pah-say-no, Karma”, sagte sie. In der Nacht darauf begann ich an einem Geschenk für Tutok zu arbeiten. Damit wollte ich ihr danken für die Halskette, die sie mir geschenkt hatte. Zuerst hatte ich an ein Paar Ohrringe aus Fischbein gedacht, doch dann war mir eingefallen, dass ihre Ohrläppchen nicht durchstochen waren und dass ich einen Korb voll Muschelschalen besaß, die ich schon früher in dünne Scheiben geschnitten hatte. Aus diesen Abaloneschalen würde ich einen Kranz für Tutok anfertigen. Mit Dornen und feinem Sand bohrte ich in jede Scheibe zwei Löcher. Dazwischen steckte ich je zehn Olivellamuscheln, die nicht größer sind als die Spitze meines kleinen Fingers, und zum Schluss reihte ich alles an einer Robbensehne auf. nf Nächte lang arbeitete ich an dem Kranz und am fünften Tag, als sie mich wieder besuchte, gab ich ihr mein Geschenk. Ich setzte ihr den Kranz aufs Haar und band ihn hinten zusammen. “Wintscha”, sagte sie und fiel mir um den Hals. Sie war so glücklich, dass ich vergaß, wie sehr mich meine Finger vom Löcherbohren schmerzten. Noch manches Mal kam Tutok zur Höhle, doch eines Morgens kam sie nicht. Ich wartete den ganzen Tag auf sie. Am Abend verließ ich die Höhle und kletterte auf den Felsvorsprung, von wo aus ich die Schlucht überblicken konnte. Ich fürchtete, die Männer hätten erfahren, dass ich hier wohnte, und würden zur Höhle kommen, um mich fortzuschleppen. Ich blieb die ganze Nacht auf dem Felsen, trotz des ersten kalten Winterwindes. Tutok kam auch am folgenden Tag nicht. Da erinnerte ich mich, dass es für die Jäger an der Zeit war, nach Hause zu fahren. Vielleicht hatten sie die Insel schon verlassen. Eilends lief ich zur Bergkuppe, kletterte auf den Felsblock und spähte über dessen Rand in die Korallenbucht hinunter. Mein Herz klopfte laut. Das Aleuterschiff lag immer noch in der Bucht vor Anker, doch auf dem Deck arbeiteten Männer und auf dem Wasser flitzten Kanus hin und her. Ein heftiger Wind wehte auf der Insel. Da nur noch wenige Otterfellbündel am Strand lagen, nahm ich an, dass das Schiff im Morgengrauen die Anker lichten. würde. Es war dunkel geworden, als ich in die Schlucht zurückkehrte. Da der Wind immer kälter wurde und da ich mich vor den Aleutern nicht mehr zu fürchten brauchte, zündete ich in der Höhle ein Feuer an und kochte mir eine warme Mahlzeit aus Muscheln und Wurzeln. Ich kochte so viel, dass es für Rontu und mich und Tutok gereicht hätte. Ich wusste, Tutok würde nicht kommen, dennoch stellte ich ihr Essen neben dem Feuer bereit und wartete. Einmal bellte Rontu kurz auf und mir war, als hörte ich Schritte. Ich ging zur Öffnung und horchte. Wolken bedeckten den kalten Himmel im Norden. Der Wind wurde lauter; er dröhnte in der Schlucht. Ich rührte mein Essen nicht an. Nachdem ich lange umsonst gewartet hatte, versperrte ich den Eingang mit Steinen. Als es dämmerte, ging ich zur Bergkuppe. Der Wind hatte sich gelegt. Vom Meer her wallten graue Nebelschwaden auf die Insel zu. Ich lag auf dem Stein und versuchte, durch den Nebel einen Blick auf die Korallenbucht zu erhaschen. Endlich ging
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