Insel der Freibeuter
ge-
nau, drehte ihn um, bis dessen aufgerissene Augen in den Himmel starrten, dann schloß er sie mit verblüffender Gelassenheit. Ein ums andere Mal schüttelte er den Kopf, bis er sich schließlich aufrichtete und reichlich sarkastisch kommentierte:
»Merkwürdige Leiche, bei Gott! Hat die Brust vol-
ler Blei, doch sein wertvolles Hemd hat überhaupt nichts abbekommen.« Streng musterte er die Anwesenden und beharrte schließlich drohend auf seiner Frage: »Wer ist der Kapitän?«
Ein beleibter Mann mit zerfetztem schmutzigen
Hemd und schwarzer Klappe über dem linken Auge
trat vor.
»Das bin ich… Kapitän Rui Santos Pastrana, Mar-
ques de Antigua, im Dienste Ihrer Gnädigen Maje-
stät.«
»Deine Gnädige Majestät kann mich mal kreuzwei-
se«, entgegnete der Schotte mit beträchtlicher Schär-fe in der Stimme.
»Und noch weniger kann ich ausstehen, daß mich
jemand angreift, ohne vorher die Kriegsflagge zu
hissen.« Er näherte sich seinem Gegenüber und hob dessen Augenklappe an, um sicherzugehen, daß er
wirklich einen Einäugigen vor sich hatte. »Weißt du, welche Strafe die Seegesetze für eine solche Niedertracht vorsehen?«
»Im Kampf gegen Gesetzlose gibt es keine Vor-
schriften«, gab der Spanier mit augenfälliger Verachtung zurück. »Meine Befehle lauten, jedes Piraten- oder Korsarenschiff zu versenken, das meinen Weg kreuzt.«
»Tja, Pech gehabt, du Tölpel. Daß du ein schmut-
ziger hinterhältiger Latino bist, reicht allein, um dich aufzuknüpfen, aber weil du dabei auch noch das
Leben Unschuldiger in Gefahr bringst, hast du es
wirklich verdient.« Der Schotte gab drei seiner
Männer einen Wink und knurrte: »Hängt ihn auf!«
»Nein…!« Eine der Frauen, die die Szene verfolgt
hatten, stürzte die kleine Treppe hinunter, warf sich Kapitän Jack zu Füßen und heulte wie von Sinnen:
»Nein, Senor, um Gottes willen, tötet ihn nicht!« Sie drehte sich um und deutete auf die Kinderschar.
»Was soll aus meinen Söhnen werden?«
»Eure Söhne?« gab der Angesprochene höchst ver-
blüfft zurück. »Soll ich vielleicht glauben, Senora, daß es dieser Idiot gewagt hat, sich mit seiner Frau und seinen Kindern an Bord auf ein Piratenschiff zu stürzen?«
»So ist es, Senor. Die zwei kleinsten sind unsere Söhne. Ich flehe euch an!« Alle blickten auf die
zwei kleinen Knaben, die noch keinen Meter groß
waren und das Schauspiel mit schreckensweiten
Augen verfolgten.
Zum ersten Mal, seit er ihn kannte, erlebte Sebasti-
án Heredia einen wirklich fassungslosen Kapitän
Jack. Einen Augenblick zögerte der Schotte, schließ-
lich aber ging er auf die Knaben zu, hockte sich zu dem Kleinsten und musterte ihn streng.
»Ist er wirklich euer Vater?« wollte er wissen.
Der Junge nickte.
»Und wie heißt er?«
»Papa.«
Der Glatzkopf verharrte einige Zeit, bis er schließ-
lich einen tiefen Seufzer ausstieß.
»Ein guter Name, bei Gott! Der beste, den es gibt.«
Er nahm den Kleinen beim Kinn und zwang ihn, den
Kopf zu heben. »Weißt du was, du Knirps? Wenn du
geantwortet hättest, Rui Santos Pastrana, Marques de Antigua, wärst du in fünf Minuten eine Waise
gewesen. Aber einen >Papa< kann man nicht einfach aufhängen.« Er richtete sich mühsam auf, mu-
sterte alle Anwesenden der Reihe nach und wandte
sich schließlich Lucas Castano zu. »Schlag ihm die rechte Hand ab, damit man ihm nicht noch einmal
das Kommando über ein Schiff gibt. Anschließend
bekommt jeder Mann an Bord zwanzig Peitschen-
hiebe. Mit den Frauen könnt ihr machen, was ihr
wollt, aber mißhandelt sie nicht. Alles von Wert
schafft ihr auf die Jacare, denn wenn es dunkel wird, brechen wir auf.«
»Keiner rührt das Mädchen an!«
Alle drehten sich perplex um und schauten Miguel
Heredia Ximénez an, der mit einer großen und
scharfen Machete an der Reling stand. An seiner
Entschlossenheit konnte kein Zweifel bestehen, und seine Augen funkelten, während er auf ein etwa
13jähriges Mädchen in der Frauenschar zeigte.
»Potztausend«, rief Kapitän Jack belustigt aus. »Du kannst ja sprechen! Was bist du doch für ein
schweigsamer Kerl gewesen! Doch das sage ich dir, ein Kind ist die nicht mehr. Eigentlich ist sie die einzige Frau, die etwas taugt.«
»Sie muß so alt sein wie meine Tochter«, lautete
die unbeirrte Antwort. »Und wer es wagt, sie anzu-rühren, den kastriere ich! Ihr seid gewarnt!«
Der Schotte musterte ihn, blinzelte spöttisch mit den Augen, dachte einige Sekunden
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