Insel der Freibeuter
Antwort. »Ich bin Euch zu größtem Dank ver-
pflichtet.«
»Die Friedhöfe sind voller Leute, die auf fremden Dank vertrauten. Manche halten einen guten Faust-schlag für den besten Dank.«
»Ich nicht.«
»Das will ich hoffen, doch nur für den Fall, daß du deine Meinung änderst, bleibt dein Vater, wo er ist.«
Er tätschelte ihm freundlich den Unterarm. »Und
jetzt sag Lucas, daß er Kurs auf Cartagena nehmen und dir erklären soll, so gut er kann, was du dort zu tun hast.«
Sechs Tage später gingen sie zwischen den Islas del Rosario vor Anker, einem wunderschönen Archipel
mit kristallklarem Wasser, traumhaften Stränden und winzigen paradiesischen Inseln. Nachdem er eine
Schaluppe zu Wasser gelassen und diese bis zum
Bordrand mit verschiedenen Fischen gefüllt hatte, wies der Panamese nach Westen.
»Wenn du vier Stunden die Küste entlangsegelst,
wirst du eine riesige Bucht mit zwei Festungen entdecken. Fahr ohne Furcht hinein und nimm Kurs auf den Fischerhafen. Du findest ihn zur Linken eines Klosters, das auf einem Berg liegt, den sie Popa
nennen. Den siehst du schon von weitem. Verkauf
alle Fische, doch denk dran, in den Eingeweiden des Zackenbarschs sind die Perlen. Geh mit ihm an
Land, als ob du ihn abliefern müßtest, und lauf geradewegs auf einen Turm zu. Dort fragst du nach dem Haus des Juden Isaias Toledo. Alle Welt kennt ihn dort.«
Sebastian Heredia Matamoros befolgte alle Ratsch-
läge der Nummer Zwei an Bord aufs Genaueste,
wenn ihm auch das Herz bis zum Halse schlug, als
er an den drohenden Kanonen und den aufmerksa-
men Wachposten der Festungen San Jose und San
Fernando vorbei in die weite Bucht einfuhr, in der die Geschwader der ganzen Welt Platz gefunden
hätten.
Als er anschließend Kurs auf die Stadt nahm, die
sich im Westen erhob, und sich dem weißen Häu-
sermeer näherte, konnte er angesichts der majestätischen Festung von San Felipe sein Staunen nicht
unterdrücken. Das Fort beherrschte die Stadt völlig und war zweifellos das großartigste militärische
Bauwerk, das je ein Architekt entworfen hatte.
Das so gefürchtete kleine Fort La Galera, in dessen Schatten er auf die Welt gekommen und aufgewachsen war, erschien ihm angesichts dieser hohen und dicken Mauern wie eine Hundehütte. Hätte man die
unzähligen Kanonen, mit denen die gestaffelten
Mauern gespickt waren, gleichzeitig abgefeuert,
wäre wahrscheinlich auf jeden Quadratmeter der
Bucht eine Kugel gestürzt.
Cartagena de Indias war die wunderschöne Stadt, in der jedes Jahr die unendlichen Schätze aus allen
Winkeln des Kontinents lagerten, bis sie mit der
Großen Flotte nach Sevilla gebracht wurden. Die
Baumeister von vier Generationen spanischer Köni-
ge hatten die Stadt zum damals gewaltigsten »Tre-
sor« der Menschheit ausgebaut, so stolz und uneinnehmbar, daß die Tatsache, im ruhigen Wasser der
Bucht zu segeln, für sich allein ein unvergeßliches Erlebnis war.
Die Meerseite der Zitadelle war von bis zu zwanzig Meter dicken, mit Geschützen gespickten Mauern
unterstützt, und als ob das nicht ausgereicht hätte, machten die schweren Kanonen von San Felipe mit
ihrer langen Reichweite jedem Träumer deutlich,
daß er anstelle von Cartagena de Indias ebensogut die Holle hätte angreifen können.
Tausende von Gefangenen hatten über ein Jahrhun-
dert lang Tag und Nacht geschuftet, damit sich die Steinblöcke mit mathematischer Präzision ineinanderfügten. Niemand wußte genau, wie viele Ge-
heimkammern sich im Labyrinth der Gänge verbar-
gen, die in die Eingeweide der Erde führten, bis in die fernen Gewölbe des Dominikanerklosters.
Die Festung San Felipe war in Wahrheit eine zwei-
te Stadt in der Stadt, eine unüberwindliche Zuflucht, falls die übrigen Verteidigungsanlagen nicht ausgereicht hätten. In den tiefsten Verliesen lagerte man über Monate hinweg die Schätze, bis sie nach Spanien eingeschifft wurden.
Der Hafen pulsierte vor Leben und Hektik, so daß
niemand Notiz von der Ankunft eines kleinen Fi-
scherboots zu nehmen schien. Nachdem er seine
Ware unter Wert verkauft und nur soviel gefeilscht hatte, daß er keinen Argwohn erregte, packte Sebastián Heredia den schwarzen Zackenbarsch in einen alten Sack und machte sich ohne Hast auf den Weg
zum Turm, der die Hafeneinfahrt beherrschte.
Eine halbe Stunde später betätigte er den Klopfer einer schweren Tür am Ende einer engen Gasse,
einen Steinwurf vom Gouverneurspalast entfernt,
und sofort öffnete
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