Insel der Freibeuter
was ich von ihr halten soll. An ihrer Seite fühle ich mich winzig.«
»Winzig?« wiederholte der Schotte ungläubig. »Da
denke ich, einen Mann aus dir gemacht zu haben,
und du kommst mir mit so was. Wovon redest du,
zum Teufel?«
»Von Raquel Toledo, Kapitän…«Sebastián senkte
die Stimme, als fürchtete er, jemand anderer könnte ihn hören, und fügte fast wispernd hinzu: »Sie hat mich besessen.«
Der Glatzkopf musterte ihn entgeistert.
»Sie hat dich besessen?« entgegnete er im gleichen, fast unhörbaren Ton, während er mit geballter Faust eine unzweideutige Handbewegung machte. »Willst
du sagen, daß sie dich vergewaltigt hat? Richtig vergewaltigt?«
»Nein, Kapitän! Seid doch nicht so roh! Doch nicht so was«, protestierte der andere. »Wie sollte mich eine Frau vergewaltigen?«
»Was weiß ich denn? Vielleicht war sie ja ein ver-kleideter Sodomit.« Er zuckte mit den Schultern.
»Soll ja schon vorgekommen sein!«
»Kein Sodomit!« ereiferte sich der Junge. »Eine
Frau. Die weiblichste Frau der Welt.«
»Also weiter? Sprich dich aus!«
Zähneknirschend erzählte der Junge, der nicht wuß-
te, ob er sich verlegen, schuldig oder stolz fühlen sollte, alle Einzelheiten seiner fast unglaublichen erotischen Abenteuer der vergangenen Nacht. Der
grobschlächtige und blutrünstige Pirat hörte mit of-fenem Mund zu und vergaß wenigstens für einen
längeren Augenblick seine Qualen, die ihm die
Wunden und die Würmer bereiteten.
»Ich kann’s nicht glauben!« wiederholte er ein ums andere Mal. »Das hat sie wirklich gemacht? Meine
Güte! Also noch mal, sie hat dich gebadet, ans Bett gefesselt und dann mit der Zunge… Verdammt, und
mich fressen die Würmer auf. Wenn sie so was
schon mit einem Schiffsjungen treibt, was zum Teufel macht sie dann erst mit einem Kapitän?« Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Die muß ich kennenler-nen«, schloß er. »Ich kann nicht sterben, bevor ich nicht jemanden getroffen habe, der solche Dinge
tut.«
»Und wie stellen wir das an?«
»Laß mich nachdenken.«
Am folgenden Tag ließ Kapitän Jack Sebastian
schon im Morgengrauen rufen, gab ihm einige sehr
präzise Befehle und schärfte ihm ein, diese wort-
wörtlich auszuführen. Kurze Zeit später verabschiedete sich der Junge erneut von seinem Vater und
ging mit seiner Schaluppe zum zweiten Mal auf
Kurs Cartagena.
Schon in Sichtweite der Hafenfestungen mußte er
eine gute Stunde lang beidrehen, weil eine sanfte Brise von Land her wehte und in diesem Augenblick drei riesige Galeonen, die von einem schnellen
Kriegsschiff mit über 70 Geschützen begleitet wurden, in den Hafen einfuhren.
Mit so schwerfälligen Schiffen, die quadratische
Segel gesetzt hatten, war es wahrlich keine leichte Aufgabe, bei Gegenwind die tiefste Stelle in der
Bucht anzusteuern. Der Margariteno mußte zugeben, daß Kapitäne und Besatzungen ihr Handwerk verstanden, denn eine nach der anderen defilierten die Galeonen an den Festungen San Fernando und San
Jose vorbei, die zu ihrer Ankunft Salut schossen.
Sebastian folgte ihnen in die Bucht und fragte sich, ob die Galeonen wohl Gold aus Mexiko oder Silber
aus Peru geladen hatten, oder ob sie Quecksilber aus Almaden an Bord hatten, das für die Bergwerke von Potosi bestimmt war.
Dann steuerte er auf den Fischerhafen zu, und als es dunkel wurde, ergriff er mit zitternder Hand den schweren Türklopfer in Form eines Wasserspeiers
und hämmerte damit an die dicke Pforte des Hauses mit den Papageien.
Raquel Toledo empfing ihn in einem feinen blü-
tenweißen Kleid, und nach einem üppigen und köst-
lichen Abendessen, das wieder im Garten serviert
wurde, fiel sie wiederum wie eine Spinne über ihr schutzloses und hypnotisiertes Opfer her und prakti-zierte an ihm alle möglichen Zaubereien, als wären die Kenntnisse dieser himmlischen Frau in den
kompliziertesten Formen der Liebeskunst ohne
Grenzen.
»Wo hast du das alles gelernt?« wollte Sebastián in einer jener kurzen Pausen wissen, die sie ihm zuges-tand.
»Aus Büchern.«
»Aus Büchern?« versetzte der arme Junge ungläu-
big. »Ich hätte nie gedacht, daß es Bücher gibt, in denen so etwas steht.«
»Doch, die gibt es sehr wohl. In allen Ländern und in allen Sprachen«, entgegnete sie belustigt. »Doch die galante Literatur des Orients über die Kunst der Liebe ist die beste und lehrreichste«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Und die einzige, die niemals aus der Mode kommt. Zeiten, Kulturen und
Weitere Kostenlose Bücher