Insel der Freibeuter
eingefangen und das Manöver in
entgegengesetzter Richtung wiederholt hatten, verging beängstigend viel Zeit, und aus der Angst wur-de Panik, als ein Wachposten auf einer der Fregatten etwas Ungewöhnliches zu bemerken schien und
Alarm gab.
Fast unmittelbar darauf begannen die Kanonen zu
donnern. Es waren allerdings nur warnende Pulver-
salven, denn mit gezieltem Kreuzfeuer hätten sich die Schiffe der Flotte bei ihrer Formation gegenseitig versenkt.
Im Schein des Mündungsfeuers zeichnete sich
nunmehr die Botafumeiro ab, die von neuem vor
dem Bug eines der Kriegsschiffe aus der dritten Reihe zu kreuzen begann, und kaum hatte sie damit
begonnen, feuerte die riesige Galeone, welche die Formation abschloß und wie ein Schäferhund ihre
Herde vor sich her zu treiben schien, eine regelrechte Breitseite, die um ein Haar auf dem Deck der Botafumeiro eingeschlagen hätte, die sich wie ein Hase auf der Flucht in die Nacht bewegte.
Knapp zehn Minuten lang verfolgte das riesige
Schiff die flüchtende Botafumeiro und deckte sie mit einem ohrenbetäubenden Geschützfeuer ein. Bald
jedoch mußte der Spanier eingesehen haben, daß die Beute den Aufwand nicht lohnte. Daher ging er bald Backbord, um seine ursprüngliche Position am Ende der Flotte wieder einzunehmen.
»Gott sei uns gnädig!« rief Don Hernando Pedrári-
as aus, als er seine Stimme wiedererlangt hatte und ihm die Beine nicht mehr zitterten. »Das war die
Cagafuego!«
»Die Cagafuego?« fragte Joáo de Oliveira erstaunt.
»Ich dachte, die ist im Pazifik und schützt die Phil-ippinenroute.«
»Sie ist vor einem Jahr zurückgekehrt.«
»Gut zu wissen, auf daß wir nicht noch einmal den Weg dieser Bestie kreuzen! Beinahe hätte sie uns
das Licht ausgeblasen.«
Cagafuego war der Spitzname, den die Piraten ge-
wöhnlich dem bestbewaffneten Schiff der spani-
schen Flotte gaben. Meistens war das eine Galeone mit über neunzig Kanonen und 500 Mann Besatzung.
Eine Stunde später verloren sich die Lichter der
Flotte in der Ferne, und die Botafumeiro ging wieder auf ihren ursprünglichen Kurs zurück. Jetzt allerdings gab der Portugiese nicht den Befehl, die Segel anzuziehen, sondern folgte einfach dem Kielwasser der Flotte. Wenn die spanischen Steuermänner sicher waren, daß ihnen in diesen Gewässern bei
Nacht keine Gefahr drohte, dann galt dies auch für das Schiff des Portugiesen.
Zwei Tage später passierten sie bei Tagesanbruch
die Mona-Passage zwischen Puerto Rico und Santo
Domingo. Ohne Hast segelten sie nunmehr die Kü-
ste von Hispaniola entlang, bis sie schließlich am folgenden Morgen in einen tiefen Hafen einliefen.
Die aufmerksamen Augen der Wachposten verfolg-
ten sie von der uneinnehmbaren Festung aus, deren Errichtung »Gouverneur« Le Vasseur vor einem
halben Jahrhundert am gleichen Tag befohlen hatte, an dem ihn die Spanier aus Santo Domingo vertrie-ben hatten.
An Tortuga war die lange Zeit nicht spurlos vorü-
bergegangen. Die einst strahlende Festung der Bu-
kaniere, in der das Gold der Piraten und Korsaren einst in Strömen floß und wahre Heerscharen von
Huren und Glücksrittern ernährte, verfiel ebenso
rasant wie das pulsierende Port-Royal zu florieren begann.
Tortuga war nun einmal kaum mehr als ein kahler
Felsen in Sichtweite einer von spanischen Truppen beherrschten Küste, während sich auf Jamaika die
Engländer so festgesetzt hatten, daß sie nicht einmal die Spanier mehr vertreiben konnten.
Eine Welt des Verfalls konnte gelegentlich ihren
eigenen Charme besitzen, besonders dann, wenn sie auf eine glorreiche Vergangenheit zurückblicken
konnte. Doch unter den Helden der Vergangenheit
Tortugas hatte es nur blutdürstige Mörder gegeben, und unter den Heldinnen gab es keine, die nicht in tausend Betten geschlafen hatte. So boten Gebäude, Menschen, ja sogar Festungen lediglich den traurigen Anblick des vorzeitigen Ruins.
Gerade mal ein halbes Dutzend Schiffe verlor sich in der weiten Bucht, und schon auf den ersten Blick konnte man erkennen, daß es keine Handelsschiffe
mit wertvoller Fracht waren, die man gegen Zucker und Rum hätte eintauschen können, und auch keine
stolzen Korsarenschiffe, die bereit waren, gegen die Spanier zu kämpfen, sondern lediglich Küstensegler ohne großen Tiefgang. Mit diesen Schiffen überfie-len die Bukaniere Hispaniola und kehrten von dort blutbefleckt zurück, die Schiffe bis zur Reling voll mit toten Schweinen.
Das geräucherte Fleisch, das bei den
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