Insel der glühenden Sonne
»Sollen sie ihn etwa dort sterben lassen?«
»Nein, das wohl nicht.«
»Ganz sicher nicht. Aber man könnte ihnen einen Tag Vorsprung geben. Du könntest ja eine offene Tür bemerken und die Nachbarn alarmieren.«
Sean ging es gegen den Strich, überhaupt darüber zu diskutieren, da er Pellingham am liebsten persönlich verprügelt hätte. Hätte sie ihm bloß nicht seinen Namen genannt.
»Du bist ein Genie«, rief er und umarmte Marie. »Ich werde Willem den Plan vorschlagen und ihm erklären, weshalb ich mich Pellingham nicht selbst nähern kann, ohne alles aufs Spiel zu setzen. Dieses Haus ist ein Geschenk Gottes. Eigentlich sollte ich mich rasch auf den Weg machen und Willem berichten, aber ich mag auf einmal gar nicht mehr weg von dir.«
Er beugte sich vor und küsste sie.
Er hielt sie im samtigen Dunkel der Bäume in den Armen, und er spürte eine Liebe, die er beinahe schon vergessen geglaubt hatte.
Als er auf dem Heimritt wieder an Pellingham dachte, verflog der Zauber des Abends. Er fragte sich, ob die Jungs vielleicht sogar zur Peitsche greifen würden, um sich an Pellingham zu rächen.
Lester spürte, dass sich etwas zusammenbraute.
Seit Wochen klebte er wie eine Klette an George und ließ alle wissen, dass sie auf demselben Schiff hergekommen und somit dicke Kumpel waren, mehr aber auch nicht. Es störte ihn nicht, dass George, was Männerfreundschaften anging, einen zweifelhaften Ruf genoss, denn er war andererseits ein Kerl wie ein Baum, während Lester als gewiefter Schläger bekannt war. Sie bildeten ein gutes Team und hatten bisher keinen Ärger gehabt.
George war nicht sonderlich begeistert gewesen, als Lester sich ihm anschloss, hatte sich aber höflich verhalten, was Lester mit dem ihm eigenen Hochmut auf seine überlegene gesellschaftliche Herkunft zurückführte. Jedenfalls war George fleißig und gutmütig. Und er hielt ihnen Probleme vom Hals, was Lester zu schätzen wusste, da er um jeden Preis dem verdammten Bergwerk entfliehen und seinen alten Status als Kalfakter zurückgewinnen wollte.
Im Augenblick konnte er sich nicht um die Farm kümmern; es war schwer genug, in den unterirdischen Stollen zu überleben. Wie sich jemand freiwillig für eine solche Arbeit entscheiden konnte, war ihm unbegreiflich. Und doch arbeiteten die Männer zu Hause in den Gruben und nahmen ihre Söhne mit, sobald sie alt genug waren. Er war hier in Port Arthur ein paar echten Bergleuten begegnet, die damit prahlten, es sei keineswegs schlimmer als zu Hause. Samstagabends durften die Bergarbeiter im warmen Meer schwimmen, um sich von dem tief sitzenden Schmutz zu reinigen, was ein echtes Privileg darstellte.
Als sie an diesem Abend aus dem Wasser kamen, bemerkte Lester, wie jemand George eine Tabaksdose zusteckte, als er sich gerade anzog. George tauchte eine Weile in der Menge unter, und Lester fand ihn erst in der Warteschlange beim Abendessen wieder.
Er verriet nicht, dass er die Übergabe mit angesehen hatte, sondern bat George später um etwas Tabak.
»Ich hab keinen mehr. Kannst du mir ein bisschen leihen?«
»Ich hab auch keinen.«
»Ehrlich nicht?«
»Nein, schön wär’s.«
George belog ihn, und das machte Lester ausgesprochen wütend.
Früh am nächsten Morgen – George war gerade auf der Latrine – durchwühlte Lester seinen Seesack, fand aber auch darin keinen Tabak. Ansonsten konnte er nur in der dünnen Rosshaarmatratze stecken, was gegen die Vorschriften verstieß. Er sah nach, die Matratze war intakt.
Als Nächstes fiel ihm auf, dass George öfter mit zwei bestimmten Männern flüsterte, und beschloss, ihn zu warnen.
»George, ich sag’s dir im Guten, fang bloß keine Männergeschichten an. Davon gibt es hier schon zu viele, und es stehen hundert Peitschenhiebe drauf, wenn sie dich erwischen. Außerdem fällt es auch auf mich zurück. Die Bosse halten mich womöglich für einen Warmen, weil wir Kumpel sind, und das kann ich mir nicht leisten.«
»Schon gut«, sagte George friedlich.
Doch am folgenden Samstagabend beobachtete Lester, wie erneut eine Tabaksdose den Besitzer wechselte. Diesmal kam sie von einem
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