Insel der Nyx: Insel der Nyx, Die Prophezeiung der Götter
Blick den toten Jaguar streichelte.
Eleni ging langsam näher. Wie hatte er den Jaguar getötet? Mit dem Messer? Sie suchte nach der tödlichen Wunde. Doch das schwarze Fell war unversehrt.
»Ein schönes Tier«, flüsterte sie. Am liebsten wollte sie selbst über das glänzende Fell streichen.
»Bleib stehen!« Makaio sah zu ihr auf. »Du darfst uns nicht berühren!«
Eleni hielt inne. »Warum nicht?«
Makaio zeigte seine Hände. »Das Gift ist überall. Auf meiner Haut, auf seinem Fell ...«
»Du hast ihn vergiftet?«
Makaio nickte. »Als er in meinen Arm gebissen hat.«
»Und du?« Eleni starrte ihn an. »Was ist mit dir? Müsste das Gift dich nicht auch umbringen?«
Makaio stand auf und blickte von oben auf den Jaguar hinab. »Mir tut das Gift nichts.«
Eleni lauschte ihrem Herzklopfen. Wie konnte es sein, dass das Gift ihm nicht schaden konnte? Ihr Blick fiel auf die Wunde an seinem Arm. Das Blut war bereits versiegt und sie erschien nur noch halb so tief wie zuvor. Auch die Kratzer an seiner Brust sahen auf einmal harmlos aus.
Eleni schüttelte den Kopf. Sie musste sich täuschen. Dann waren die Wunden wohl doch nicht so schlimm gewesen.»Wenn das Gift dir nicht schadet ...«, sie versuchte zu scherzen, »bist du etwa unsterblich?«
Makaio drehte sich zögernd zu ihr um. Für einen Moment runzelte er die Stirn, dann nickte er langsam. »Was sonst sollte jemand sein, der bereits gestorben ist und trotzdem noch lebt?«
K APITEL A CHTZEHN
E bbe und Flut kamen und gingen. Bei Flut stand das Wasser so hoch in der Höhle, dass Philine gerade noch an der Decke atmen konnte, und bei Ebbe verschwand es ebenso schnell wieder aus ihrem Gefängnis, wie es gekommen war. Philine brauchte einige Zeit, um zu durchschauen, wo ihre Höhle gelegen war. Die Hesperiden bewachten sie Tag und Nacht, bei Ebbe und bei Flut und achteten darauf, sie nicht zu nah an den Höhlenausgang heranzulassen. Philine suchte immer wieder nach einer Gelegenheit, wenigstens aus der Höhle hinauszuschauen. Aber es dauerte lange, bis sie ihre Chance bekam.
Es war ein Nachmittag, an dem die Hesperiden sie mit der blonden Nymphe allein ließen. Philine hatte längst bemerkt, dass sie von allen die Freundlichste war, zumindest hatte sie bislang keine Gemeinheiten an ihr ausprobiert. Und auch jetzt schien sie nichts Schlimmes mit Philine vorzuhaben. Das Meer hatte sich mit der Ebbe zurückgezogen und die Nymphe saß mit abwesendem Blick im Höhleneingang und sang. Es war ein zarter, unglaublich hoher Gesang und Philine fühlte sich umgeben von diesem Klang zum ersten Mal etwas besser. Manchmal blickte sich die blonde Nymphe zu ihr um,und schließlich lächelte sie sogar. Ein ehrliches, freundliches Lächeln, ohne den Spott, mit dem die anderen Hesperiden so gern über sie herzogen. Dennoch war Philine skeptisch und wagte es nicht, der blonden Nymphe zu trauen – aber schließlich pirschte sie sich immer näher an den Höhleneingang heran und erhaschte einen Blick nach draußen. Sie hätte das Meer nur wenig unterhalb des Höhleneingangs erwartet. Schon oft hatte sie darüber nachgedacht, ob sie vielleicht bei einer günstigen Gelegenheit hineinspringen konnte, um durch das Wasser zu fliehen.
Aber was sie draußen erblickte, war etwas ganz anderes: Das Wasser lag mindestens sechs Meter unter ihnen, und dort, wo sie aufkommen würde, wenn sie in die Tiefe sprang, war ein Sandstrand. Direkt gegenüber ragte ein anderer Berg in die Höhe und die Meereszunge, die sich dazwischen ins Land schlängelte, erschien kaum breiter als ein Bach.
Das unter ihnen war keine Meeresküste, es war nicht einmal eine Bucht – es musste so etwas wie ein Fjord sein, in dem das Meer zwischen den Bergen ins Land hineinragte. Nur dass es in diesem Fjord offenbar Gezeiten gab, mächtige Gezeiten, in denen sich der Meeresspiegel zwischen Ebbe und Flut mehr als sechs Meter anhob.
Philine kräuselte die Stirn. Der Unterschied zwischen Ebbe und Flut war im Mittelmeer normalerweise kaum zu erkennen. Aber selbst wenn diese Insel irgendwo anders auf der Welt läge – Gezeiten, die einen Unterschied von sechs Metern ausmachten, gab es nirgendwo.
Die blonde Nymphe hörte auf zu singen und sah zu Philine auf. »Der Mondfjord ist der Geburtsort der Gezeiten«, erklärte sie freundlich.
Philine starrte wieder nach draußen. Der Mondfjord? Meinte die Nymphe etwa, dass Ebbe und Flut an diesem Ort entstanden?
Eigentlich war doch der Mond für die Gezeiten verantwortlich, weil
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