Insel der Nyx: Insel der Nyx, Die Prophezeiung der Götter
er mal mehr und mal weniger Anziehungskraft auf die Erde ausübte und dabei das Wasser anzog und wieder losließ.
Die Götter der Nacht herrschten über die Insel – und der Mond war ein Teil der Nacht ...
»Wie du siehst, kannst du nicht von hier fliehen«, unterbrach die Nymphe ihre Gedanken. Sie bedachte Philine mit einem Blick, der fast mitleidig erschien.
Philine presste die Lippen aufeinander. Es war offensichtlich. Bei Ebbe konnte sie nicht fliehen und in der Flut ebenso wenig, jedenfalls nicht, solange sie von den Hesperiden bewacht wurde.
Also musste sie auf irgendeine andere Gelegenheit warten, auf irgendein Wunder.
Philine bemühte sich, ihre Enttäuschung zu verbergen. Sie ging mit langsamen Schritten zurück in die Höhle und rollte sich auf ihrem Lager zusammen. Den restlichen Tag verbrachte sie in einem schläfrigen Dämmerzustand und hoffte auf ein Wunder. Aber ihr Wunder kam nicht. Stattdessen erschienen die Schattengötter. Die Dämmerung war gerade über dem Fjord hereingebrochen, als die Gestalten im Höhleneingang landeten. Für eine Sekunde flatterten ihre Flügel durcheinander und verdunkelten die Felsnische, ehe die Schwingen sich auflösten und verschwanden.
Es waren drei Schattengötter, die reglos im Höhleneingang stehen blieben: zwei dunkel gekleidete Frauen und eine gekrümmteGestalt, die sich auf einen Gehstock stützte. Ihre Gesichter lagen unter den Kapuzen verborgen, doch die schwarzen Hohlräume drehten sich in Philines Richtung.
Plötzlich strömte etwas durch die Höhle, eine gewaltige, unsichtbare Flut, die über Philine hinwegspülte und ihre Lunge zusammenpresste. Es war ein schreckliches Gefühl, das ihr den Atem raubte.
Philine wollte es aus der Luft nehmen, wollte es auflösen ... doch noch während sie einatmete, erkannte sie, dass es gar kein Gefühl war. Es war das Gegenteil davon! Plötzlich wusste sie, dass es die Macht war, die über jegliche Gefühle herrschte, die sie beliebig aus der Seele herausreißen und hineinpflanzen konnte. Und gerade jetzt wollte sie etwas in Philines Seele pflanzen: Angst! Pure, lähmende Angst, unter der sie alles andere vergessen sollte.
Philine hielt den Atem an. Sie wollte die Angst nicht! Sie würde sich nicht von diesen Göttern beherrschen lassen! Sie selbst konnte Gefühle besiegen und bekämpfen!
Noch mit diesem Gedanken verschloss sich eine dunkle Tür in ihrer Seele. Es war der Teil von ihr, der Angst empfinden konnte.
Auf einmal fühlte sie sich kühl und nüchtern. Sie richtete sich auf und sah den Göttern mit stolzer Haltung entgegen. Sollten sie ruhig kommen, sollten sie doch einfach ihren nächsten Trick an ihr ausprobieren – der erste war ihnen misslungen.
Eine der Göttinnen setzte sich in Bewegung. Sie glitt auf Philine zu und schoss ihre Angstkrallen auf ihre Seele. Aber sie prallten einfach an der dunklen Tür ab und zerschellten.
Die schwarze Göttin bebte unter der Macht, mit der sie dasMädchen bombardierte. Lautlos kniete sie sich nieder, blickte unter ihrer Kapuze auf Philines Bein. Eisige Kälte strömte aus ihrem Blick, ließ die Haut darunter gefrieren, nur eine Sekunde, bevor die Göttin ihre Kapuze zurückwarf.
Schwarze, endlose Leere sprang aus ihren Augen, weiße Sterne wirbelten auf Philine zu. Der Sog riss sie von den Füßen, saugte sie hinein in die schwarzen Augen. Die Weite des Weltalls raste an ihr vorbei, riss sie hinab in die Tiefe. Ihr Körper fiel, schwebte, raste. Die Wucht zerrte an ihrer Seele, wollte sie aus ihr herausreißen.
Liebe ist stärker als Angst. Philine bewegte ihren Mund, hielt sich an dem Gedanken fest und dachte ihn immer wieder: Liebe ist stärker als Angst.
Auf einmal, obwohl sie in der Tiefe des Weltalls verloren war, erkannte Philine, mit welcher Waffe die Göttin sie überwältigen wollte: Die Angst war nicht irgendein Gefühl, sie war das stärkste Gefühl, das alle anderen Empfindungen unter sich begraben konnte. Die Angst konnte Freude und Glück verbrennen, sie konnte Stolz verdrängen und den letzten Mut ersticken. Die Angst war ein Teil von der Wut der Menschen, sie säte Eifersucht und Neid und war die Nahrung von jeglicher Trauer. Sie triumphierte über fast jedes Gefühl, welches die Menschen empfanden – doch zwischen all dem gab es nur eines, das stärker sein konnte. Nur mit wahrer Zuneigung ließ sich die Angst bekämpfen. Es war eine zarte Waffe, die nur langsam wirkte, aber mit der ehrlichen Liebe eines anderen ließ sich die Angst eines
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