Insel der Nyx: Insel der Nyx, Die Prophezeiung der Götter
mussten. Also war es vielleicht gar nicht so schlecht, wenn sie Makaio von den Göttern erzählte, um sich von ihren reißenden Fingernägeln abzulenken. »Von den antiken Griechen hast du dann wahrscheinlich auch noch nichts gehört, oder?«
Makaio schüttelte den Kopf. »Nein.« Er wich ihrem Blick aus und zog an einer zähen kleinen Wurzel, die sich an der Yamswurzel festklammerte.
Eleni half ihm dabei und fing an zu erklären: »Die antiken Griechen haben hier vor etwa zwei- bis dreitausend Jahren gelebt. Sie waren eines der ersten gebildeten Völker in Europa. Sie konnten schreiben und rechnen und haben viele Dinge erfunden, die wir heute noch benutzen. Außerdem haben sie an viele verschiedene Götter geglaubt. Eigentlich gab es für jede Eigenschaft der Menschen und für alle Ereignisse einen passenden Gott oder eine Göttin. Aber vor allem die zwölf olympischen Götter wurden verehrt. Zeus, zum Beispiel, war der oberste aller Götter und der Herr über den Himmel und die Erde. Seine Gefährtin war Hera, die Göttin der Familie – und sein Bruder Poseidon herrschte über das Meer. Es gab noch einen dritten Bruder: Hades. Aber dieser gehörte nicht zu den olympischen Göttern, denn er war der Herrscher der Unterwelt. Zu ihm kamen die Menschen, wenn sie starben. Der Olymp, also die Heimat von Zeus und den anderen olympischen Göttern, sollte auf dem höchsten Berg liegen und war so etwas wie der Himmel.« Eleni warf einen Seitenblick zu Makaio und versuchte festzustellen, ob er ihr folgen konnte. Wenn die Leute in seiner Heimat an Geister glaubten – vielleicht wusste er dann gar nicht, was sie mit Himmel meinte.
Er schaute konzentriert auf seine Hände und die Yamswurzel – aber dann nickte er ihr zu und lächelte.
»Also ...« Eleni überlegte einen Moment, wie sie weitererzählen sollte. Aber wahrscheinlich war es besser, wenn sie die Details wegließ. Sonst wäre sie morgen früh noch nicht fertig. »Es gibt wahnsinnig viele Geschichten über Zeus unddie olympischen Götter, über ihre Konflikte und Kriege mit anderen Göttern und mit den Menschen. Aber Philine hat herausgefunden, dass diese Insel hier irgendetwas mit der Nyx zu tun hat. Die Nyx gehörte nicht zu den olympischen Göttern.« Eleni räusperte sich. »Bis heute kennt die Göttin der Nacht kaum noch jemand. Wir haben in der Schule zwar etwas über Zeus und die Hauptgötter gelernt, aber von der Nyx wissen die meisten Menschen nichts. Philine und ich sind auch nur auf sie gekommen, weil die Nyx die Mutter der Hesperiden ist.«
Das Loch rund um die Wurzel war inzwischen so tief, dass sie sich beim Graben hinunterbeugen mussten, und es wurde anstrengend, gleichzeitig zu erzählen. Doch Eleni rief sich alle Informationen in Erinnerung, die Philine über die Nyx und ihre Kinder herausgefunden hatte. »Zusammen mit Erebos, dem Gott der Finsternis, hat die Nyx eine ganze Reihe von Kindern bekommen und all diese Götter verkörpern die verschiedenen Eigenschaften der Nacht. Das sind überwiegend düstere und böse Eigenschaften. Da gibt es zum Beispiel die Todesgötter: unter anderem Thanatos, den sanften Tod, der den Menschen im Schlaf das Leben nimmt.«
Makaios Hände hielten inne. Eleni bemerkte, wie sein Blick ihr Gesicht streifte, ehe er umso schneller weitergrub. Eleni machte eine kurze Erzählpause und versuchte, eine bequemere Haltung zu finden. Schließlich stützte sie sich mit der rechten Hand ab und grub mit der linken weiter. »Und dann gibt es die Rachegötter: Die Nemesis ist die Göttin des gerechten Zorns. Sie sorgt beispielsweise dafür, dass Mörder bestraft werden.«
Makaio zuckte zurück. Eleni dachte schon, er hätte sichbeim Graben verletzt – aber er starrte sie an, als hätte sie etwas Falsches gesagt. Sie richtete sich langsam auf und versuchte zu begreifen, was mit ihm los war. Doch dann ahnte sie es: Hieß das, er hatte wirklich schon mal einen Mord begangen? Fürchtete er sich deshalb vor der Rache der Nemesis? Weil er bereits einen Menschen getötet hatte ... um ihn zu essen?
Eleni wollte nicht länger darüber nachdenken, sie musste sich ablenken. Hastig beugte sie sich zurück in das Loch. Während sie weitergrub, erzählte sie von den drei Göttinnen, die sie am spannendsten fand: »Dann sind da die Moiren. Das sind die drei Schicksalsgöttinnen, die den Schicksalsfaden der Menschen weben. Die Erste von ihnen sorgt dafür, dass wir geboren werden. Die Zweite bestimmt, wann wir sterben, und die Dritte
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