Insel der Nyx: Insel der Nyx, Die Prophezeiung der Götter
hatte er es bis jetzt getan – und wenn er es heute nicht tun würde ... Eleni spürte, wie die Tränen aufstiegen und sich in ihre Augen drängten.
Im nächsten Moment dachte sie an Philine. Welche Angst musste ihre Freundin erst haben?
Eleni hielt das Schweigen nicht länger aus. Auch wenn Makaio nicht antworten würde, vielleicht würde es schon helfen, wenn sie ihre eigene Stimme hörte: »Was denkst du, tun die Hesperiden mit ihr? Du hast gesagt, sie werden Philine nicht töten – aber was haben sie dann mit ihr vor?«
Makaios Atem stockte ... immerhin schien er nicht zu schlafen. Doch gleich darauf stieß er einen langen Seufzer aus. »Ich nehme an, sie suchen nach ihrem Mal.«
Eleni zuckte unter seiner Stimme zusammen. »Ein Mal?«, wisperte sie. »Was meinst du damit?«
»Ich meine das Mal, in dem sich Philines Herkunft auf ihren Körper gezeichnet hat.« Makaios Stimme klang ruhig. »Aber sie werden es nicht finden. Schließlich suchen sie das Mal, das du auf deiner Haut trägst.«
»Ich?« Eleni schloss die Augen. »Ich habe kein Mal auf meiner Haut. Ein paar winzige Muttermale vielleicht. Aber das haben doch alle Menschen.«
Makaio flüsterte fast: »Du hast ganz bestimmt ein Mal. Wenn du es nicht kennst, dann ist es wohl gut versteckt.«
Elenis Verwirrung wurde immer größer. Gut versteckt? Auf ihrer Haut? Im nächsten Moment wusste sie, welche gut versteckten Stellen er meinte. »Nicht einmal da habe ich ein Mal!«, blaffte sie und bemerkte, wie sie rot wurde.
Ein Schmunzeln schwang in Makaios Stimme mit. »Doch. Irgendwo wird es sein.«
Eleni kniff die Augen zusammen, auch wenn er es in der Dunkelheit wohl nicht sehen konnte. »Wie sieht denn so ein Mal aus? Hast du auch eins? Gut versteckt?«
Makaio gab einen unbehaglichen Laut von sich. »Meines ist gar nicht zu übersehen. An meinem Bein. Es ist die Schlange.«
Eleni hielt die Luft an. Plötzlich war ihr Ärger verflogen. »Die Schlange?«, flüsterte sie. »Was bedeutet sie?«
Makaio schwieg. Dort, wo er lag, war es dunkel, absolut finster. Genauso finster wie seine Geheimnisse.
Auf einmal konnte Eleni die düstere Stimmung nicht länger aushalten. »Na los, sag schon! Woher hast du sie? Was bedeutet sie?«
»Ich hab sie schon immer!«, fuhr Makaio sie an. »Und eins kann ich dir sagen: Sei froh, dass du ein anderes Mal hast!«
Eleni zog den Kopf ein. Aber sie konnte sich eine weitere Frage nicht verkneifen: »Willst du sagen, dieses Schlangenmal ist angeboren?«
Makaio stieß ein bitteres Lachen aus. »Wohl eher angestorben.«
Elenis Gedanken wirbelten durcheinander. Er war bereits tot! Seine Antwort passte zu dem, worüber sie den ganzen Tag schon nachdachte. »Heißt das, du bist gestorben«, stammelte sie, »und danach mit dieser Schlange wieder aufgewacht?«
Makaio sagte nichts dazu. Eine ganze Weile lang hörte Eleni nur, wie er auf seinem Lager hin und her raschelte.
»Ungefähr so«, flüsterte er schließlich. »Aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Ich war noch ein Baby.«
Eleni spürte einen harten Kloß in ihrem Hals. Sie konnte nichts sagen und hoffte nur, dass Makaio noch mehr erzählen würde.
Tatsächlich flüsterte er weiter: »Meine Eltern waren Fischer. In einem kleinen samoanischen Dorf. Es war ein armes Dorf, direkt an der Küste, weit weg von den größeren Orten. Die Leute dort hatten nur die Fische, um sich zu ernähren.«
Ein samoanisches Dorf? Eleni versuchte, seiner Erzählung zu folgen: Samoa war eine Insel, irgendwo zwischen Neuseeland und Hawaii. Eine der Inseln, die so aussahen, als wären sie das Paradies: mit Traumstränden und Palmen ... aber vermutlich auch mit dichtem Dschungel und armen Menschen.
»Zu der Zeit, als ich geboren wurde, stand es besonders schlimm um das Dorf.« Makaios Stimme hob sich über dasFlüstern hinaus, wurde gerade laut genug, um den engen Raum zu füllen. »In dem Sommer gingen fast keine Fische mehr in die Netze. Also mussten die Fischer immer weiter mit den Booten aufs Meer fahren, um überhaupt etwas zu fangen. Irgendwann kam eine schlimme Krankheit hinzu, die über das Dorf herfiel. Und schließlich mussten alle auf die Fischerboote, die noch gesund waren. Auch die Frauen und selbst meine Mutter, obwohl ich noch ein winziger Säugling war. Sie hatte Angst davor, dass ich mich anstecken würde, wenn sie mich bei den Kranken im Dorf gelassen hätte. Also nahm sie mich mit auf das Boot. Doch gerade als wir am weitesten von Samoa entfernt waren, kam ein
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