Insel der Nyx: Insel der Nyx, Die Prophezeiung der Götter
Sturm auf. Von einer Minute auf die andere türmten sich die Wellen haushoch, spülten über unser Boot hinweg und rissen mich über Bord.«
Eleni schloss die Augen. Sie sah den schreienden, winzigen Säugling vor sich, wie er von den Wellen verschlungen wurde und im wütenden Meer verschwand. Kein Baby würde so etwas überleben.
»Kurz darauf, als hätte der Teufel persönlich seine Hand im Spiel gehabt, wurde das Meer wieder ruhig. Aber ich blieb verschwunden. Der Dorfrat erklärte mich für tot und meine Familie trauerte um mich. Gut zwei Wochen lang soll meine Mutter geweint haben. Währenddessen erholten sich die Menschen im Dorf von der Krankheit, als wäre alles nur ein böser, hinterhältiger Spuk gewesen. Und dann, eines Morgens, fanden die Fischer ein kleines, schreiendes Baby, das von den Wellen am Strand angespült wurde. Und alle erkannten mich wieder. Ich schien quicklebendig zu sein, vollkommen unversehrt und meine Eltern waren überglücklich über das Wunder. Nur eines an mir hatte sich verändert: Von dem Tagan hatte ich diese Schlange auf meinem Bein. Und egal, auf welche Weise ich mich verletzte, es heilte innerhalb weniger Stunden.«
Eleni spürte, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten. Was er erzählte, war eine traurige Geschichte.
»Im Dorf gab es viele Gerüchte über mich«, erzählte Makaio weiter. »Bei den Samoanern ist es Tradition, dass die jungen Männer an ihren Beinen tätowiert werden, um sie in den Kreis der Erwachsenen aufzunehmen. Es ist ein Zeichen: Jeder, der stark genug ist, um die Schmerzen der Tätowierung auszuhalten, ist auch stark genug, um ein Mann zu sein. Die Leute im Dorf glaubten, die blaue Schlange wäre ein Zeichen dafür, welche Schmerzen ich im Meer ertragen hatte. Es hieß, ich sei gestorben und hätte es geschafft, den Tod zu besiegen.« Makaio verstummte. Für einen endlosen Moment drang nur ein leises Rascheln an Elenis Ohren, bis sie befürchtete, er würde nicht mehr weitererzählen. Aber schließlich wurde seine Stimme traurig. »Ich war nie ein normales Kind, und das wussten alle. Sobald wir alt genug wurden, um die Geschichten zu verstehen, fingen die anderen Kinder an, sich vor mir zu fürchten. Nicht nur, weil ich der tote Junge genannt wurde, sondern auch wegen der Schlange auf meinem Bein, die manchmal so aussieht, als würde sie leben. Wenn ich wütend oder enttäuscht bin, zischt die Schlange um sich. Das hat sie auch damals getan, bis niemand mehr in meiner Nähe sein wollte. Noch bevor ich alle Geschichten über mich erfahren habe, wusste ich, dass ich zum Meer gehöre. Ich habe mich nicht gefühlt wie ein Mensch, und es kam mir so vor, als würde ich bei den falschen Eltern aufwachsen.« Makaio räusperte sich. »Solange ich mich erinnern kann, hatte ichgroße Sehnsucht danach, ins Meer zu gehen und darin zu verschwinden.«
Eleni streckte die Hand nach ihm aus, reckte sie ins Dunkel und hoffte darauf, dass er sie finden würde. Aber Makaio rührte sich nicht.
»Du bist ein Nixenjunge«, flüsterte sie. »Vielleicht haben die Nixen dich gerettet, als du ins Meer gespült wurdest – und dich dabei zu einem der Ihren gemacht?«
Eleni fühlte, wie seine Hand nach ihren Fingern tastete und sich vorsichtig darum schloss. Seine Haut fühlte sich warm an, lebendig ...
»Ich war immer allein zwischen den Menschen. Meine Mutter hat mich zwar sehr geliebt, aber selbst mein Vater hat sich irgendwann vor der Schlange gefürchtet und die Gerüchte darüber wurden immer schlimmer. Bis die Leute anfingen, über das Böse zu sprechen, das mich offenbar im Meer in Besitz genommen hatte.« Makaios Stimme klang belegt. »Und eines Tages wusste ich, dass sie recht hatten. Es war besser für sie, sich von mir fernzuhalten.«
Eleni hielt den Atem an.
»Ich war elf, als ein heftiger Sturm ausbrach und über unsere Küste spülte. Ein paar Hütten und Boote wurden zerstört, aber zum Glück ist niemand dabei gestorben. Am nächsten Morgen konnte ich die Insel sehen, die mit dem Sturm aus dem Meer aufgetaucht ist. Doch ganz offensichtlich war ich der Einzige. Niemand sonst hatte die Insel bemerkt.« Makaios Hand zuckte, sein Atem klang unruhig, während er weitererzählte. »Ein paar Wochen lang habe ich die Insel vom Ufer aus beobachtet. Aber im Grunde wusste ich sofort, was ich wollte: Ich musste zu dieser Insel. Sie war meine Chance, umim Meer zu verschwinden und nicht mehr zurückzukehren, um die Menschen in meinem Dorf vor mir zu schützen.
Also bin
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