Insel der Nyx: Insel der Nyx, Die Prophezeiung der Götter
gleichzeitig auf der Insel. Unzählige Augen hatten sie beobachtet und auf irgendeine Weise hatte der Junge sie begleitet. Er trug eine blaue Zeichnung an seinen Beinen, und obwohl sie ihn noch nie aus der Nähe gesehen hatte, wusste sie jetzt, dass es eine Schlange war, die sich um seine Beine wand.
Eleni wollte ihn noch einmal treffen, sie wollte herausfinden,was an ihm so wichtig war und warum sie selbst in ihren Träumen an ihn dachte. Immer wieder hielt sie in ihrer Arbeit inne und sah zu der Insel hinüber. Der Junge lebte dort und sie wusste, dass er sich einsam fühlte.
Hieß das, er war der einzige Mensch auf der Insel? Welche Geschichte steckte dahinter, wenn ein Junge ganz allein auf einer so merkwürdigen Insel lebte?
Aber vielleicht hatte sie seinen Blick auch falsch gedeutet. Womöglich war er gar nicht allein und es gab dort ein ganzes Dorf.
Sie musste das alles herausfinden, so bald wie möglich!
Die Angst, die sie gestern noch verspürt hatte, war verschwunden. Stattdessen durchlief sie ein angenehmes Kribbeln, wenn sie an die Insel dachte.
Doch etwas anderes war weitaus weniger angenehm: Sie spürte einen deutlichen Sog, der von dem Tempel ausging. Zum Glück siebten sie die Erde nicht direkt auf der Ausgrabungsstätte, sondern ein ganzes Stück davon entfernt unter einem anderen Sonnensegel. So konnte sie gebührenden Abstand zu den Mauern halten, die Stück für Stück freigelegt wurden.
Eleni wollte nicht wissen, was passieren würde, wenn sie die Mauern irgendwann berührte. Würde dann wieder ein Erdbeben ausbrechen? Oder würden die Kreaturen von der Insel herüberkommen? Oder würde gar die ganze Insel näher rücken?
Eleni schauderte. Was auch immer passieren würde, sie wollte es nicht ausprobieren. Aber in einem war sie sich inzwischen sicher: Der Tempel und die Insel hatten etwas miteinander zu tun. Es konnte kein Zufall sein, dass die Schattengestaltengenau an dem Tag von der Insel herübergeflogen waren, an dem sie das erste Mauerstück freigelegt hatten.
Selbst die Archäologen und die Helfer aus dem Dorf schienen seit der letzten Nacht zu ahnen, dass etwas Besonderes vor sich ging. Jeder von ihnen hatte den dunklen Moment bemerkt. Die Leute mochten zwar nicht wissen, dass sie unter den Einfluss der Schatten geraten waren, aber sie erahnten die Mächte, die sich unter der Oberfläche verbargen: Dieser Tempel war ein mystischer Ort und seit gestern wusste es im Grunde genommen jeder aus dem Dorf.
Eine plötzliche Unruhe riss Eleni aus ihren Gedanken. Sie blickte auf und bemerkte, dass einige Teams aufgehört hatten zu arbeiten und sich stattdessen in leisem Tonfall miteinander unterhielten. Gleich darauf entdeckte sie Vasili, der von Gruppe zu Gruppe ging und ihnen etwas sagte. Auf seinem Gesicht lag ein Ernst, den Eleni nicht von ihm kannte.
Was auch immer die Nachricht war, die er überbrachte – es war offenbar der Grund, warum die Leute unruhig wurden.
»Was ist da los?«, flüsterte Philine.
Zusammen lösten sie sich von ihrer Arbeit und gingen näher in Richtung der Ausgrabungsstätte.
Kostas Vater kam auf sie zu und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Anscheinend sah er ihre fragenden Blicke und blieb kurz bei ihnen stehen. »Der alte Alexandros ist heute Nacht gestorben.«
Eleni spürte einen trockenen Kloß in ihrem Hals. Sie hatten tatsächlich recht gehabt mit ihrer Vermutung! Eleni wechselte einen Blick mit ihrer Freundin.
Philine sah noch blasser aus als sonst.
»Wir werden runter ins Dorf gehen und seiner Familie unser Beileid aussprechen«, erklärte Kostas Vater.
»Ja.« Eleni brachte kaum mehr als ein Krächzen hervor, während Philine nur stumm ihren Kopf nach vorne neigte.
Gemeinsam sahen sie Kostas Vater nach.
»Mir wäre es lieber gewesen, du hättest dich getäuscht«, wisperte Philine.
»Mir auch.« Eleni hob wieder den Kopf und blickte zur Insel. Dunkle Wolken hingen über den bläulichen Bergen. Es sah aus, als würde es über der Insel regnen. Eleni wischte den Schweiß aus ihrem Nacken. Ein Gewitter mit einem kräftigen Regenschauer würde auch der trockenen Hochebene nicht schaden. Aber der Himmel über Kreta strahlte in einem leuchtenden Blau.
Kurz darauf erschien Arjana neben ihnen.
»Wir haben gerade entschieden, die Mittagsruhe heute schon etwas eher zu beginnen.« Sie nickte mit dem Kopf zu den Griechen, die sich in einer Gruppe versammelt hatten. Ihr Finger strich nervös über ihren Handrücken. »Markos
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