Insel der Nyx: Insel der Nyx, Die Prophezeiung der Götter
flacher, auch die Wasseroberfläche kam näher. Das Wasser färbte sich braun wie von aufgewirbeltem Schlick und nahm Eleni jede Sicht. Die Strömung war inzwischen so stark, dass sie trotz der kräftigen Flossenschläge kaum noch vorwärtskamen.
Erst nach einer Weile wurde das Wasser wieder etwas klarer, bis sie seitliche Begrenzungen von Schilf, Schlingpflanzen und Baumwurzeln erkennen konnte. Auch der Geschmack an ihren Lippen änderte sich. Es war nicht mehr salzig.
Mit einem Mal begriff Eleni, was hier vor sich ging. Sie waren nicht mehr im Meer! Sie waren in einer Flussmündung.
Nach und nach wurde die Strömung schwächer, bis Makaio wieder so ruhig und schnell voranschwamm, wie er es zuvor im Meer getan hatte.
Als sie sich endlich aus dem Fluss ans Ufer robbten, waren sie in einem Tal zwischen hohen, dschungelbewachsenen Bergen. Eleni saugte die feuchte Luft so gierig in ihre Lungen wie ein neugeborenes Baby. Sie hielt sich noch immer an Makaio fest, klebte nahezu an ihm, weil sie ihre verkrampften Arme nicht von seinem Oberkörper lösen konnte. Makaios Brust bewegte sich schnell. Für einen Moment keuchte er ebenso erschöpft wie sie. Er hielt den Kopf gesenkt und musste sich auf den Händen abstützen, um nicht einfach am Ufer zusammenzubrechen. Aber sein Fischschwanz teilte sich bereits in zwei menschliche Beine, die Schlange wand sich darum und zischelte. Eine Sekunde später sprang er auf, wich vor Eleni zurück und starrte sie erschrocken an.
Eleni blickte zu ihm hoch und verstand nicht, warum er so hastig von ihr wegwollte. Hatte sie etwas falsch gemacht?
Plötzlich fühlte sie sich allein gelassen auf dem schlammigen Uferstreifen. Ein ungutes Gefühl zog durch ihren Bauch, das sie nicht ganz begreifen konnte. Aber vor allem kam sie sich bescheuert vor. Er hatte nicht den Mund auf ihren gelegt, um sie zu küssen. Er hatte sie auch nicht im Arm gehalten, weil er sie besonders mochte. Er hatte nur alles Nötige getan,damit er sie unter Wasser mitnehmen konnte. Und jetzt war er froh, dass er sie endlich wieder loslassen konnte.
Ein pelziger, modriger Geschmack legte sich auf Elenis Zunge, offenbar die Ausdünstungen von unzähligen Pflanzen und Pilzen, die in dem dichten Dschungel um sie herumwucherten.
Eleni rappelte sich mühselig auf. Ihre Beine und Hände zitterten, als sie endlich stand, aber sie versuchte, es vor Makaio zu verbergen.
Es war sowieso egal, ob er sie mochte oder nicht. Hauptsache, er half ihr dabei, Philine wiederzufinden!
Eleni drehte sich um sich selbst, versuchte einen Überblick über den Ort zu gewinnen, an dem sie waren. Aber der Dschungel erhob sich so dicht neben dem Ufer, dass sie nur wenige Meter weit sehen konnte. Einzig die Berge dahinter waren zu erkennen, weil sie sich drohend zu beiden Seiten des Flusses auftürmten. Sie warfen einen tiefen Schatten über die Talsohle und ließen Eleni erahnen, wie riesig und undurchdringlich diese Insel war. Wie sollten sie Philine hier jemals finden? Der Dschungel war so dicht, dass sie ihre Freundin selbst dann verfehlen würde, wenn sie nur wenige Meter entfernt versteckt gehalten wurde.
Philine! Am liebsten wollte Eleni den Namen laut rufen. Aber selbst wenn sie schreiend über die Insel rannte, wäre es wohl noch aussichtsloser, als ganz Kreta nach ihrer Freundin abzusuchen.
Makaio war ihre einzige Chance.
Er stand noch immer an derselben Stelle. Aber sein Blick streifte aufmerksam durch den Dschungel, als müsste er mögliche Gefahren abschätzen, die hier auf sie lauerten. Aufeinmal sah er groß aus. Sicher, er war ein kleines bisschen größer als sie und wahrscheinlich sogar etwas älter. Aber er wirkte auf seltsame Weise erwachsen. Vielleicht war es sein ernster Blick oder die gerade Haltung, die so schien, als könnte er notfalls auch kämpfen, wenn sie in Gefahr gerieten. Die Schlange auf seinem Bein zuckte nervös und Elenis Blick fiel auf den kurzen Lederrock, den er plötzlich wieder trug. Das Leder besaß eine schuppige Struktur und schillerte in dem gleichen Blaugrün, in dem seine Schwanzflosse zuvor geleuchtet hatte.
Makaio löste sich aus seiner Starre. Er ging noch einmal zum Wasser zurück, knotete eine Reihe von Lederbeuteln von seinem Gürtel los und zog bei dem ersten eine Art Korken aus einer Öffnung. Eleni begriff, dass es Wasserbeutel waren, während er einen nach dem anderen ins Wasser tauchte und füllte.
Sie wollte ihn fragen, was sie jetzt tun würden, ob er ihr tatsächlich helfen
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