Insel der Rebellen
Rücksichtslosigkeit am Steuer und kann mit Gefängnis bestraft werden.«
»Jemine! Sä kunnt us do nöd ifach loche tue!« , protestierte Ginny heftig.
Damit hatte sie Recht, allerdings nicht ganz. Auf der Insel konnte zwar niemand einsitzen, gab es hier doch weder ein Gerichtsgebäude noch ein Gefängnis. Aber es konnte natürlich jeder, der beim Rasen erwischt wurde, aufs Festland gebracht werden. Diese Vorstellung löste auf der ganzen Insel Urängste aus, kaum dass Ginny die Janders Road hinuntergelaufen und in Spanky's Place gestürzt war, wo Dipper Pruitt gerade hausgemachtes Vanilleeis für drei stille Amish-Touristinnen in langen Kleidern und Haarnetzen abfüllte.
»Wi wän all uffde feschte Land locht!«, rief Ginny. »Un uss dä Insel muochet sä ä Rennbahn!«
Die Amish-Frauen lächelten scheu und entnahmen winzigen schwarzen Portemonnaies das begehrte Silbergeld, wobei sie eine glänzende Münze nach der anderen geräuschlos auf die Theke zählten. Touristen aus Pennsylvania bekam Ginny nicht oft zu Gesicht. Sie bewunderte die Art, wie sie sich kleideten und benahmen und wie hell ihre Haut war. Stundenlang fuhren sie auf der Chesapeake Breeze umher oder stiegen von der Fähre Captain Eulice und liefen eine Ewigkeit auf der Insel herum, ohne sich einen Sonnenbrand zu holen, vom Wind zerzaust zu werden oder zu frieren. Nie setzten sie sich in die Schaukelstühle auf den Veranden der Einheimischen oder auf Grabsteine, nie schauten sie in die Krebstanks, ohne zu bezahlen, oder machten sich über die seltsame Ausdrucksweise der Inselbewohner lustig. Noch nie hatte Ginny einen Amish-Touristen über das Alkoholverbot oder die frühe Sperrstunde auf Tangier klagen hören, Maßnahmen, die Nachtleben und Fluchen verhinderten und dafür sorgten, dass die Fischer rechtzeitig zu ihren Familien nach Hause zurückkehrten und früh zu Bett gingen. Wenn alle Fremden wie die Leute au s Pennsylvania wären, würden Ginny und ihre Nachbarn die Touristen vielleicht nicht ganz so verachten.
»O Gott! Wä verzeih, dass mer locht wän muesset?«, wollte Dipper wissen, während sie den Eislöffel in einer Schüssel mit lauwarmem Wasser spülte. »Ond warum?«
»Wil mer rase tuet in Golfcarts«, antwortete Ginny, als die Amish-Frauen leise in den kalten, feuchten Morgen hinausgegangen waren. »Un de Landjäger mol Striff uff dä Strass und wolln us alle loche mit dä Heli. Dä wolln us no und no verschrecke, damit sä hi är NASCAR veranstalte kunnt un ä Fäschle uffmoche.«
Binnen einer Stunde strömte die ganze Inselflotte der Bateaus, der flachen weißen Fischkutter, aus den Rinnsalen und Prielen der Insel und aus der offenen Chesapeake Bay zurück. Die Außenborder zischten und stotterten wie Rasenmäher, als die Männer das Letzte aus den Motoren herausholten, weil sie von Gefängnissen, NASCAR und den abfälligen Bemerkungen des Troopers über die Zähne der Inselbewohner gehört hatten. Das Suchflugzeug, das eigentlich nach Köderfischen Ausschau halten sollte, wurde abberufen und kreiste nun tief über der Janders Road, vorsichtig darauf bedacht, dem verrosteten Kran nicht zu nahe zu kommen, der südlich der gekrümmten Landspitze aufragte, unweit der Müllverarbeitungsanlage und dem Flugplatz, der mit Baggersand angelegt worden war.
Zum Glück für Andy trocknete die Farbe so rasch, dass die wachsende Menge aufgebrachter Frauen und Kinder, die sich mit Gartenschläuchen und Wassereimern bewaffnet hatte, kaum etwas gegen sein Werk ausrichten konnte. Aber er wurde nun doch nervös und fragte sich, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war, die Bewohner aufzuhetzen, nur um ein paar gepfefferte Zitate für seine Artikel zu bekommen. Vielleicht hätte er Troope r Macovich nicht im Hubschrauber warten lassen sollen. Der Job war vielleicht doch zu gefährlich für einen Mann allein. Andy beeilte sich mit dem Streifen, den er vor dem Gladstone Memorial Health Center aufmalte, wo Dr. Sherman Faux gerade damit beschäftigt war, ein neues Loch in Fonny Boys Zähne zu bohren.
FÜNF
Der Morgen hatte für Gouverneur Crimm nicht sehr viel versprechend begonnen. Auf dem Weg hinunter zum Frühstück hatte er sich verlaufen und war wieder einmal in einem Empfangszimmer der Villa gelandet, wo er nun geduldig darauf wartete, dass Pony, der Butler, ihm Kaffee aus einer antiken Lampe in einen Kerzenhalter goss, der neben ihm auf einer niedrigen Chippendalekommode stand - unschuldige Objekte, die er in seiner Fastblindheit für
Weitere Kostenlose Bücher