Insel der Rebellen
hat?«
»Däs isch's!« Der junge Mann versperrte mir den Weg zur Tür, die in das Hinterzimmer führte. »Ar bisst. Dohä isch är anbunde. Är isch dem Dentischt.«
»Wo ist der Zahnarzt?«
»Där isch au anbunde.«
»Er ist beschäftigt? Na gut, vielleicht kann ich ein andermal mit ihm sprechen«, antwortete ich. »Und was ist mit deinen Zähnen? Ich sehe, du trägst eine Klammer. Außerdem sind dir offenbar mehrere Zähne gezogen worden. Es sieht so aus, als würden sich die Gummibände r beim Sprechen lösen.«
»So isch's!« Verlegen hielt er sich die Hand vor den Mund.
»Dä Dentischt sull Acht gäbe, wos är muochet.«
»Wo wir so nett miteinander plaudern«, sagte ich und näherte mich vorsichtig dem Tisch, auf dem gut sichtbar eine Patientenkarte lag, »macht es dir was aus, wenn ich mir auf deiner Karte anschaue, was bei dir alles behandelt wurde? Ich nehme doch an, dass das deine Karte ist? Ist dein Name Darren Shores?«
»Hi auf Tangier nennet mi all Fonny Boy.«
Schon bald befanden Fonny Boy und ich uns in der schönsten Unterhaltung, denn er wusste vieles über die Geschichte der Insel und der Seefahrt, soweit sie die Bucht betraf. Als Fonny Boy im Verlauf unseres Gesprächs etwas Vertrauen fasste, berichtete er mir viele Einzelheiten und begann, von den Piraten zu erzählen oder den Caperern, wie sie auf der Insel genannt werden. Früher seien sie überall gewesen, berichtete er. Es gab eine Zeit, da lagen so viele Piratenschiffe vor den Küsten Marylands, Virginias und der beiden Carolinas, dass Städte wie Charleston völlig abgeschnitten waren. Niemand wagte, aus dem Hafen zu segeln, weil er befürchten musste, sofort von den Piraten gekapert zu werden, die keine Skrupel hatten, ihre Gefangenen auf höchst unschöne Art ins Jenseits zu befördern.
Ausführlich berichtete Fonny Boy über Blackbeard, der Ende des 17. Jahrhunderts, als er noch ein ehrlicher Seefahrer aus Bristol in England war, auf den Namen Edward Drummon hörte. Später beschloss er, Pirat zu werden, und änderte seinen Namen in Edward Teach, was in historischen Berichten häufig fälschlich als Thatch, Tache oder Tatch wiedergegeben wird. Nachdem Quee n Anne ihren Krieg beendet hatte, segelte Blackbeard nach Jamaika, um französische Schiffe zu kapern. Dort begann er an seinem Erscheinungsbild zu arbeiten. Er wollte möglichst grausam und furchterregend wirken, damit die gegnerischen Schiffe, falls der Jolly Roger seine Wirkung verfehlte, trotzdem rasch zur Aufgabe bereit waren. So flocht er seinen langen Bart zu kleinen Zöpfen, zündete sie mit langsam brennenden Streichhölzern an und band sich Pistolen, Degen und eine große Machete um den Bauch. Weitere Waffen, so Fonny Boy, trug er an einem Patronengurt, den er sich quer über die Brust schnallte.
Sehr bald schon begannen Blackbeard und seine Flottille die Küste von North Carolina und die Chesapeake Bay unsicher zu machen. Die Einwohner von Tangier gewöhnten sich an, den Jolly Roger zu hissen, sobald sie Blackbeards Schiff sichteten, und von Zeit zu Zeit kam der rücksichtslose Pirat höchstpersönlich auf die Insel und hielt Gelage ab, wie sie nach dem Geschmack seines finsteren Herzens waren. Niemand sah ihn gern auf der Insel, und niemand hatte einen ruhigen Schlaf, solange er dort war. Frauen und Kinder versteckten sich in den Häusern, sodass Blackbeard glaubte, Tangier Island sei eine Insel, die ausschließlich von Männern bewohnt werde. Daher wurden seine Besuche immer kürzer und unregelmäßiger. Fonny Boy und die äußerst spärlichen historischen Dokumente behaupten, Blackbeard habe sich die nahe liegende Frage gestellt, wie eine ausschließlich von Männern bewohnte Insel ihre Bevölkerung über Jahrzehnte erhalten könne.
Die Antwort, die Blackbeard bekam, blieb verschollen, bis ein dreihundert Jahre altes Kontobuch entdeckt wurde. Dieser außergewöhnliche Fund war der Legende nach von Blackbeards Schiff Adventure irgendwie auf den Dachboden eines Nachkommen von Alexande r Spottswood gelangt. Spottswood war Gouverneur von Virginia zur Zeit von Blackbeards blutigen Raubzügen. Das Kontobuch gibt vor allem Auskunft über die Aufteilung von Blackbeards Beute, aber auch über seine sadistischen Gräueltaten, zum Beispiel seine Vorliebe dafür, Leute zu zerstückeln. Blackbeards handschriftliche Eintragungen verzeichnen hundertvierzig Fässer Kakaopulver und ein Fass Zucker, die er offenbar gestohlen und in einer Scheune in North Carolina unter dem Heu
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