Insel der Schatten
nicht schaden wird?‹, vergewisserte sie sich.
›Das Einzige, was meine Kräuter bei deinem Mann bewirken werden, ist, dass er dadurch Kinder zeugen kann – und das nicht nur das eine Mal, sondern von nun an bis zum Ende seiner Tage‹, entgegnete Martine bestimmt. ›Der Tee wird ihn verändern. Er wird so fruchtbar sein wie andere auch. Du wirst so viele Kinder bekommen können, wie du willst. Aber er wird deinem Mann in keiner Weise Schaden zufügen. Darauf gebe ich dir mein Wort.‹
›Ich sehne mich schon so lange nach einem Kind‹, murmelte Hannah, dabei beäugte sie den Inhalt des Beutels nachdenklich.
›Bedenke wohl, was du dir wünschst, denn dein Wunsch wird in Erfüllung gehen‹, warnte Martine. ›Und nun höre mir gut zu, Hannah Hill! Ich sagte, dieser Tee würde deinem Mann nicht schaden, und das wird er wahrlich nicht, aber eines musst du wissen: Es ist ihm nicht bestimmt, Kinder zu zeugen. Seine Blutlinie soll mit ihm enden. Wenn du ihm diese Kräuter verabreichst, beschwörst du Mächte herauf, die dir zu Kindern verhelfen, obgleich es gegen sein Schicksal verstößt. Was du tust, lässt sich nie wieder rückgängig machen.‹
›Ich verstehe.‹ Hannah nickte ängstlich. ›Deswegen bin ich ja zu dir gekommen.‹
›Begreife doch, was ich dir sagen will!‹, unternahm Martine einen neuerlichen Vorstoß. ›Jedes Kind, das auf diese Weise empfangen wird, ist unberechenbar! Du kannst einen Dämon, einen Engel oder irgendetwas dazwischen bekommen, das lässt sich nicht vorhersagen. Durch Hexerei gezeugte Kinder sind selbst Hexen. So wie ihre Kinder und deren Kinder. Ob sie gut oder böse werden, ob ihre Seele schwarz oder rein ist, darauf habe ich keinen Einfluss. Und deine Kinder, deine Enkel und deine Urenkel werden alle gleichermaßen verflucht oder gesegnet sein.‹«
»Geht die Gruselgeschichte noch weiter, Iris?« Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
»Es ist die Chronik Ihrer eigenen Familie.« Iris sah mich ernst an. »Also hören Sie mir besser gut zu, mein Kind!«
Ich nickte besänftigend. »Tut mir leid. Erzählen Sie weiter.«
»Hannah hörte sich aufmerksam an, was Martine ihr zu sagen hatte, aber dort, in dieser kleinen Küche, überlegte sie, dass sich dasselbe auch von jedem anderen Kind sagen ließ. Wer wusste schon, welche Charakterzüge sein Nachkomme im Laufe der Zeit zeigen würde? Wer konnte sagen, ob es brav oder rebellisch, blond oder brünett, gesund oder kränklich werden würde? Das lag allein in Gottes Hand. Und so zögerte sie nur einen Moment, dann steckte sie den Leinenbeutel in ihre Tasche, verabschiedete sich von der Heilerin des Sommertals und stieg auf ihr Pferd.
Während der nächsten drei Tage mischte Hannah die erhaltenen Kräuter in den Morgen- und Nachmittagstee ihres Mannes, und wie Martine es ihr prophezeit hatte, empfing sie am dritten Abend ein Kind. Hannah wusste es in dem Moment, in dem es geschah, weil tief in ihrem Körper etwas zu explodieren schien. Neun Monate später waren sie und Simeon Eltern von Drillingsmädchen: Penelope, Persephone und Patience.«
»Von den dreien habe ich schon gehört!«, entfuhr es mir. »William Archer hat ihre Gräber gefunden. Sie starben sehr jung. Was ist ihnen zugestoßen?«
Iris schüttelte mit einem wehmütigen Lächeln den Kopf. »Hier wird die Geschichte ein wenig unheimlich …«, sagte sie langsam und trank einen Schluck Tee. »Sie wissen ja, was die Leute über Martine sagten – dass sie auf immer einen gewissen Preis für ihre Dienste forderte. Nun, in diesem Fall traf das tatsächlich zu.
Simeon und Hannah liebten ihre Töchter abgöttisch, konnten aber nicht leugnen, dass irgendetwas mit den Mädchen nicht stimmte. Schon in frühester Jugend schienen sie den Teufel im Leib zu haben, trieben allerlei Unfug, kniffen sich schon in der Wiege, stießen sich gegenseitig die Treppe hinunter und jagten ihrer Mutter immer wieder mit voller Absicht einen Schrecken ein, indem sie so taten, als sei eine von ihnen tot.«
Mein Gesicht musste Iris verraten haben, dass mir bei diesen Worten ein eisiger Schauer über den Rücken lief, denn sie fügte hastig hinzu: »Nein, nein, es waren keine schlechten Mädchen! Sie waren nicht böse, nur wild und unbändig, mutwillig und eigensinnig. Das unterschied sie von den anderen Kindern jener Zeit, die zumeist wohlerzogen, gehorsam und ruhig waren. Man konnte nie wissen, was diese Mädchen als Nächstes anstellen würden. Sie machten Hannah und Simeon
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