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Insel der Schatten

Insel der Schatten

Titel: Insel der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Webb
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hatte? Ich versuchte, irgendetwas zu sagen, was Iris in ihrem Tun innehalten lassen würde, aber ich konnte mich weder bewegen noch einen Laut über die Lippen bringen und war ganz in dem imaginären Netz gefangen, das Iris mit ihren Worten wob.
    Jetzt veränderte sich die Szene. Ich war nicht mehr das Mädchen vor dem Fenster, sondern Hannah. Verschwommen sah ich Iris irgendwo in der Ferne neben mir sitzen, mit verdrehten Augen, eine unheimliche Beschwörung singend. Klarer und greifbarer war das Bild von Martine, die auf der anderen Seite des Tisches saß. Ich sah also gerade das, was meine Urgroßmutter fast neunzig Jahre zuvor hier in dieser Küche wahrgenommen hatte.
    Ein Klirren im Wohnzimmer bewirkte, dass sich die Vision auflöste wie Dampf, der von einer Teetasse aufstieg. Ich schüttelte den Kopf, um den Nebel in meinem Kopf zu vertreiben, als die Küchentür aufflog und mit einem Knall wieder ins Schloss fiel, wieder und immer wieder. Das riss auch Iris aus dem Zauberbann, den sie spann, und sie sah mich mit ihren klaren, dunklen Augen an.
    Ich sprang auf. »Was tun Sie hier eigentlich?!«, herrschte ich sie an, dabei blickte ich wild um mich. Ein paar Gläser waren aus dem Regal gefallen und auf der Theke zerschellt. Zum Glück waren die auf- und zuschlagenden Türen zum Stillstand gekommen.
    Iris schüttelte nur lächelnd den Kopf. »Ich versuche lediglich, meine Geschichte zu Ende zu bringen. Es gibt noch viel zu erzählen.«
    »Offen gestanden bin ich mir gar nicht mehr sicher, ob ich den Rest noch hören möchte!« Meine Knie zitterten so, dass ich mich an der Lehne des Stuhls festhalten musste. »Schauen Sie sich doch nur mal hier um! Sind all die Gläser vielleicht von selbst aus dem Regal gesprungen?«
    »Ich schaffe hier Ordnung, sowie wir fertig sind«, erwiderte Iris.
    »Darum geht es doch gar nicht! Haben Sie eben versucht, die Drillinge zu rufen, so wie Martine es damals tat?«
    Sie sah mich an und entgegnete mit eigenartig gepresster Stimme: »Ich brauche Penelope, Patience und Persephone nicht zu rufen. Sie sind bereits hier. Die Hexe hat sie an jenem Tag in dieses Haus geholt, und seitdem haben sie es nicht mehr verlassen.«
    Ich ließ mich schwer auf den Stuhl sinken. Also war es wahr.
    »Die Geschichte geht noch weiter, Kind. Sie müssen sie zu Ende hören.«
    Ich nickte schwach, und Iris fuhr schließlich fort.
    »Als Martine die Namen der Mädchen sang, begannen Gläser zu zerbrechen, Türen öffneten und schlossen sich wie von selbst, und Hannah sprang, nachdem es ihr gelungen war, Martines Zauberbann zu brechen, auf und schrie: ›Mädchen, Mummy ist hier!‹
    Aber ihre Töchter nahmen keinerlei Notiz von ihr. Ich sagte ja schon, dass sie anders waren als andere Kinder; sie waren schon zu Lebzeiten boshaft bis an die Grenze der Heimtücke. Es war, als hätten sie weder Seele noch Gewissen.
    Martine und Hannah sahen nicht, dass meine Cousine und ich geduckt und vor Angst zitternd unter dem Fenster hockten, aber Persephone, Patience und Penelope entdeckten uns sofort. Und sie erkoren meine Cousine zu ihrem ersten Opfer. Bis heute weiß ich nicht, warum sie mich verschonten. Vielleicht, weil ich ihre Spielgefährtin gewesen war, als sie noch lebten?
    Ich hörte sie kichern und miteinander flüstern, als sie sich auf Jane stürzten, ihr Rippenstöße versetzten, sie stießen und nach ihr traten. Sie kniffen sie und stellten ihr ein Bein. Ich hätte eingreifen, hätte irgendetwas tun müssen, um ihr zu helfen, aber ich war genau wie sie wie von Sinnen vor Angst, daher versteckte ich mich hinter einem Gebüsch und verfolgte voller Entsetzen, wie Jane schreiend vor ihren unsichtbaren Peinigern floh. Sie stolperte über den Rand der Klippe, und das war das Letzte, was ich je von ihr gesehen habe.«
    Ich starrte Iris einen Moment lang voll stummer Verwirrung an, dann sagte ich tonlos: »Wie meinen Sie das?«
    »Ich meine, dass Jane an diesem Tag starb, Halcyon. Sie stürzte in den Tod. Man fand ihren Leichnam an genau der Stelle, an der Hannahs Töchter ein paar Monate zuvor erfroren waren.«

19
    »Ich glaube, ich finde langsam heraus, weshalb mein Vater mich damals von hier fortgebracht hat«, sagte ich später an diesem Abend beim Essen zu Will.
    Als er ein paar Stunden, nachdem Iris gegangen war, vor der Tür gestanden hatte, hatte ich mich sofort in seine Arme geworfen. Ich hatte den ganzen Nachmittag lang mit Angstzuständen kämpfen müssen, weil ich mutterseelenallein im Haus gewesen

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