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Insel der Schatten

Insel der Schatten

Titel: Insel der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Webb
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zum Dinner, Reisen und Besuchen, bis sie ihm eines Tages mitteilte, dass ihrer beider Leben bald eine andere Wendung nehmen würde. Ich war gerade dabei, nach einem alten Rezept meiner Mutter Kohlrouladen zuzubereiten, und kann mich noch glasklar an diesen Moment erinnern.
    ›Iris‹, rief Amelia, als sie atemlos zu mir in die Küche gestürzt kam. ›Wissen Sie, wo mein Mann ist?‹
    Sie konnte kaum an sich halten, ihre Augen glänzten vor Freude.
    Natürlich wusste ich sofort, woran ich war. ›Sie erwarten wohl ein Kind‹, stellte ich sachlich fest, dabei rührte ich unbeeindruckt in meinem Topf.
    Sie sah mich mit großen Augen an. ›Ja! Ich komme gerade vom Arzt. Woher wissen Sie das?‹
    Dummes Ding. Ein Blinder hätte es ihr ansehen können. ›Charles ist in der Scheune‹, ließ ich die Antwort offen und blickte ihr nach, als sie zur Hintertür hinauslief. Aber wie sie gestürzt ist – das habe ich nicht gesehen.«
    Iris hielt inne. Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein böses Lächeln über ihr Gesicht, das aber sofort einem Ausdruck von Mitgefühl und Besorgnis wich.
    »Sie ist gefallen?«, hakte ich nach. »Wo? Auf dem Weg zur Scheune? Aber zwischen Haus und Scheune ist der Boden doch ganz eben.«
    Iris schüttelte den Kopf. »Irgendwie ist sie an den Rand der Klippe geraten.«
    »Wie bitte? Wollen Sie sagen, dass sie von der Klippe gestürzt ist? Wie konnte das denn geschehen?«
    »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Ich weiß nur, dass sie zur Scheune wollte, um ihrem Mann die freudige Nachricht zu überbringen.«
    »Sie starb?« Warum nahmen Iris’ Geschichten, auch wenn sie noch so schön und friedlich begannen, bloß immer eine so düstere Wendung?
    »Nicht doch«, widersprach sie. »Denken Sie doch mal nach, Kind. Amelia war Ihre Großmutter und Madlyns Mutter. Sie starb an jenem Tag nicht am Fuße des Felsens. Charles fand sie, und sie war am Leben, hatte aber das Baby verloren.
    Danach behandelte Charles seine Frau wie ein rohes Ei, wie Sie sich sicher denken können. Er hatte sie ja vorher schon regelrecht angebetet, aber das war gar nichts im Vergleich zu seinem Verhalten nach dem Unfall. Und er erwartete auch von mir und dem Rest des Hauspersonals, dass wir Amelia von vorne bis hinten bedienten. Was wir natürlich auch taten.« Iris rümpfte die Nase.
    Ich spürte den Groll, der immer noch in ihr brodelte.
    »Ein paar Monate später war sie erneut guter Hoffnung, wie man so schön sagt.«
    »Diesmal trug sie das Kind bis zum Ende aus, richtig? Und das war Madlyn?« Doch noch während ich sprach wusste ich schon, dass ich mich irrte.
    Iris schüttelte prompt den Kopf. »Auch Charles’ ganze Fürsorge konnte nicht verhindern, dass sie eines Nachts die Treppe hinunterfiel.«
    »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Amelia ist noch einmal gestürzt?«
    »Ja«, bestätigte Iris und fügte dann etwas verschlagen hinzu: »Es war mitten in der Nacht, und sie ist offensichtlich schlafgewandelt. So kam es, dass sie die Stufen hinunterfiel. Sie neigte zu Unfällen, die arme Frau.«
    Also, ich glaubte nicht, dass meine Großmutter besonders unfallanfällig gewesen war. Mir schien es eher, als ob irgendjemand sie gestoßen hatte. Die Mädchen vielleicht? Und als wäre das alles nicht schon gespenstisch genug, kam mir auch noch ein anderer, noch beunruhigender Gedanke. Ich sah plötzlich Iris am Absatz der dunklen Treppe herumschleichen.
    »Iris, Sie haben doch wohl nicht …«, begann ich, wagte aber nicht, den Satz zu Ende zu führen.
    Sie brachte mich jedoch nur mit einem strengen Blick zum Schweigen und fuhr mit ihrer Geschichte fort.
    »In den Jahren nach dem Verlust der beiden Babys weinte Amelia viel. Es war allein Charles, der ihr die Kraft gab, nicht aufzugeben und es erneut zu versuchen. Wenn er nicht so viel Verständnis aufgebracht hätte, wäre Ihre Mutter vielleicht nie geboren worden.«
    Wie um zu verdeutlichen, dass sie für heute genug gesagt hatte, stellte Iris ihre Teetasse mit einem vernehmlichen Aufprall auf den Tisch. »Ich komme morgen wieder«, verkündete sie, nachdem sie in meinem Gesicht geforscht hatte, als suche sie dort etwas. »Die Geschichten Ihrer Urgroßeltern und Großeltern haben Sie sehr interessiert, aber ich sehe es Ihnen an, dass Sie noch viel mehr darauf brennen, etwas von Ihrer Mutter zu hören.«
    Sie suchte ihre Sachen zusammen – eine abgewetzte Handtasche und einen dunklen Regenschirm – und ging rasch zur Hintertür hinaus.
    Erst ungefähr eine

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