Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
überlegen.«
»Laß sie mal in Ruhe, Lexy.«
»Nein.« Jo schüttelte den Kopf. »Nein, sie hat vollkommen recht. Du hast recht«, sagte sie zu Lexy, von deren geistigen Fähigkeiten sie nie viel gehalten hatte. »Du stellst genau die richtigen Fragen – Fragen, auf die ich nie gekommen wäre. Die Polizei wird mir wahrscheinlich dieselben stellen.«
»Davon gehe ich aus.«
»Okay.« Jo atmete tief aus. »Wirst du mir helfen?«
»Ich bin schon dabei. Setz dich jetzt hin.« Sie nahm Jos Arm und zog sie neben sich. »Laß uns zuerst alle Männer durchgehen, die in Frage kommen.«
»Viele sind’s nicht. Sie fliegen nicht gerade auf mich.«
»Würden sie aber, wenn du’s wolltest. Aber das ist ein anderes Thema.« Lexy winkte ungeduldig ab. Darüber konnte man später reden. »Gibt es jemanden, mit dem du regelmäßig zu tun hast, dem du vielleicht nicht viel Bedeutung beimißt?«
»Der einzige Mann, den ich regelmäßig sehe, ist mein Praktikant. Bobby – der Typ, der mich ins Krankenhaus gefahren hat. Er war da, als der letzte Umschlag ankam.«
»Na, so ein Zufall.«
Jos Augen weiteten sich. »Bobby? Das ist lächerlich.«
»Warum? Du sagst, er ist dein Praktikant. Also versteht er was vom Fotografieren. Er kann mit einer Kamera umgehen und einen Film entwickeln. Ich wette, er weiß immer, wo du dich aufhältst, wenn du auswärts Aufträge hast.«
»Natürlich, aber …«
»Und manchmal hat er dich begleitet, stimmt’s?«
»Ja, im Rahmen seines Praktikums.«
»Vielleicht gefällst du ihm.«
»Unsinn. Am Anfang war er ein bißchen in mich verknallt.«
»Wirklich? Hast du ihn praktizieren lassen?«
»Er ist zwanzig.«
»Na und?« Lexy zuckte die Achseln. »Okay, du hattest also nichts mit ihm. Er hat Einblick in dein Leben, du gefällst ihm, er weiß immer, wo du bist, er kennt deine Gewohnheiten, und er kann mit einer Kamera umgehen. Er kommt oben auf unsere kurze Liste, würde ich sagen.«
Diesen Gedanken fand sie schrecklicher als all die anderen namenlosen, gesichtslosen Möglichkeiten. »Er hat sich damals um mich gekümmert. Er hat mich ins Krankenhaus gefahren.«
Und er hat behauptet, das Foto nie gesehen zu haben. Jos Magen krampfte sich zusammen.
»Weiß er, daß du nach Sanctuary gefahren bist?«
»Ja, ich …« Jo unterbrach sich selbst, schloß die Augen. »Ja, er weiß, wo ich bin. Heute vormittag habe ich mit ihm telefoniert. Er hat mich angerufen.«
»Warum hat er dich angerufen?« fragte Lexy. »Was hat er gesagt?«
»Ich habe ihm eine Nachricht hinterlassen und ihn gebeten, daß er mich zurückruft. Ich mußte ihn … etwas fragen. Heute hat er sich gemeldet.«
»Von wo aus hat er angerufen?« Kate warf einen kurzen Blick über die Schulter.
»Ich hab’ ihn nicht gefragt – und er hat nichts gesagt.« Jo versuchte, gegen die langsam aufsteigende Angst anzukämpfen. »Es macht keinen Sinn, daß Bobby die Fotos geschickt haben soll. Wir arbeiten seit Monaten zusammen.«
»Das ist genau die Art von Beziehung, für die sich auch die Polizei interessieren wird«, beharrte Lexy. »Wer weiß sonst noch, wo du dich aufhältst?«
»Mein Verleger.« Jo rieb sich nachdenklich die Wange. »Der Hausmeister, der Arzt, der mich im Krankenhaus behandelt hat.«
»Das bedeutet, daß im Grunde jeder herausfinden kann, wo du bist. Bobby bleibt trotzdem an erster Stelle der Liste.«
»Ich finde den Gedanken schrecklich, aber er ist logisch.« Jo kratzte sich an der Nase. »Er ist gut genug, um solche Fotos zu machen. Er ist ziemlich begabt. Manchmal macht er noch Fehler – verwackelt oder vertut sich in der Dunkelkammer. Das könnte erklären, warum einige Fotos nicht so gut sind wie der Rest.«
»Warum, was ist denn mit ihnen?« Neugierig zog Lexy die Abzüge aus dem Umschlag.
»Manche haben ziemlich harte Schatten und Kontraste. Hier, siehst du?« Sie deutete auf eine bestimmte Stelle. »Oder da. Andere sind so verschwommen, als hätte er einen schlechten Film benutzt und den Abzug dann übervergrößert. Wieder andere sind unterbelichtet. Und manchen fehlt es an Kreativität.«
»Du bist ganz schön kritisch. Ich finde, du siehst auf den meisten toll aus.«
»Sie sind trotzdem nicht so kunstvoll arrangiert wie die, die er in Charlotte oder auf Hatteras gemacht hat. Wenn ich drüber nachdenke –«, stirnrunzelnd ging sie alle noch einmal durch, »dann werden die Fotos immer unprofessioneller, immer weniger kreativ, je später sie gemacht wurden. Als ob er sich
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