Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
die Reling. »Ich kann’s kaum noch abwarten, endlich wieder unter Menschen zu sein, durch Geschäfte zu bummeln. Warum kaufen wir uns nicht alle etwas hübsches Neues? Zum Beispiel ein Partykleid. Und dann veranstalten wir ein Fest, richtig mit Schickmachen und Musik und Champagner. Ich hab’ mir seit Monaten kein neues Kleid mehr gekauft.«
»Dein Kleiderschrank platzt trotzdem aus allen Nähten«, sagte Jo.
»Ach, das ist doch alles nur altes Zeug. Hast du nicht auch manchmal Lust auf was Neues?«
»Na ja, ein neuer Blitz wäre nicht schlecht«, sagte Jo trocken.
»Weil du dich mehr für deine Kamera interessierst als für dich selbst.« Lexy legte den Kopf schief. »Etwas Blaues würde dir gut stehen. Aus Seide. Und seidene Unterwäsche. Nathan hätte seine helle Freude, falls du ihn ranläßt. Und ich wette, du würdest es nicht bereuen.«
»Alexa.« Kate hob eine Hand hoch und zählte langsam bis zehn. »Das Privatleben deiner Schwester ist für dich tabu.«
»Welches Privatleben? Seitdem sie da ist, will ihr dieser Mann an die Wäsche, und sie läßt ihn nicht.«
»Woher weißt du denn, daß ich ihn nicht lasse?«
»Ganz einfach«, sagte Lexy mit einem feinen, katzenhaften Lächeln. »Wenn du ihn gelassen hättest, wärst du entspannter.«
»Wenn zur Entspannung nur ein paar Quickies nötig wären, müßtest du schon längst im Koma liegen.«
Lachend streckte Lexy wieder ihr Gesicht in den Wind. »Ich kann dir versichern, daß ich derzeit wunderbar entspannt bin, Schätzchen. Was man von dir leider nicht behaupten kann.«
»Das reicht, Lexy«, sagte Kate ruhig. »Und wir fahren nicht zum Einkaufen rüber, sondern weil deine Schwester in Schwierigkeiten steckt. Sie wollte, daß du mitkommst, damit sie dich einweihen kann und du nicht auch noch in die Sache hineingezogen wirst.«
»Wovon redest du?« Lexy horchte auf. »Was ist denn los?«
»Setz dich«, befahl Kate und zog den Umschlag mit den Fotos aus der Handtasche. »Wir zeigen es dir.«
Zehn Minuten später blätterte Lexy die Fotos durch. Sie hatte einen Kloß im Magen, aber ihre Hände waren ruhig, und sie dachte scharf nach. »Er stellt dir nach, Jo.«
»Ich weiß nicht, ob ich es so nennen würde.« Jos Blick war aufs Meer gerichtet; langsam tauchte im Dunst das Festland auf.
»Doch, genau das ist es, und so mußt du es der Polizei klarmachen. Dagegen gibt es Gesetze. In New York hab’ ich eine Frau kennengelernt, die von ihrem Ex-Freund nicht in Ruhe gelassen wurde. Er hat sie auf Schritt und Tritt verfolgt, hat sie angerufen und hat ihr aufgelauert. Ein halbes Jahr lang hat sie in Angst gelebt, bevor sie etwas dagegen unternommen hat. So was darf man sich nicht gefallen lassen.«
»Aber sie wußte, wer sie verfolgte«, sagte Jo.
»Aber du mußt doch eine Ahnung haben, wer es sein könnte.« Lexy legte die Fotos beiseite – sie machten ihr angst. »Hast du mit jemandem Schluß gemacht, bevor das mit den Bildern anfing?«
»Nein, ich hatte keinen richtigen Freund.«
»Du mußt ihn auch nicht für den richtigen halten«, gab Lexy zu bedenken. »Er muß sich dafür halten. Bist du mit jemandem ausgegangen – auch wenn’s nur ein einziges Mal war?«
»Nein, mit niemandem.«
»Jo, du warst doch mal mit jemandem essen, im Theater oder im Kino.«
»Nicht mit einem Freund.«
»Nimm’s nicht so wörtlich. Dein Problem ist, daß du nur Schwarz und Weiß in deinem Kopf hast. Wie auf deinen Bildern. Aber selbst auf denen gibt’s doch Grautöne, oder?«
Jo war sich nicht ganz sicher, ob sie von dem Vergleich ihrer Schwester beeindruckt oder beleidigt sein sollte. »Ich weiß nicht recht …«
»Genau.« Lexy nickte aufmunternd. »Mach eine Liste aller Männer, die dich einladen wollten und die du hast abblitzen lassen. Vielleicht hat dich einer ja nur zwei-, dreimal angerufen, und du hast gedacht, er hätte aufgegeben.«
»Ich hab’ im letzten Jahr viel gearbeitet. Da war wirklich fast niemand.«
»Gut. Um so besser stehen die Chancen, daß wir den Richtigen finden.« Lexy schlug die Beine übereinander. »Gibt es jemanden in deinem Haus, der versucht hat, mit dir ins Gespräch zu kommen? Denk einfach mal nach.«
»Ich hab’ nie auf so was geachtet.«
»Dann achte jetzt drauf und denk nach. Du warst schließlich immer die Klügste von uns allen.«
»Laß mich ans Steuer.« Behutsam löste Kate Jos verkrampfte Hände vom Steuerrad. »Setz dich hin und atme tief durch.«
»Durchatmen kann sie später. Jetzt soll sie
Weitere Kostenlose Bücher