Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
war, daß sie es aushielt, würde er ihr das gräßliche Geheimnis offenbaren, das nur er kannte.
Annabelle hatte Desire nie verlassen. Sie war im Wald westlich von Sanctuary in einer Hochsommernacht unter einem weißen Vollmond ermordet worden. David Delaney, der Vater, den er geliebt, bewundert, respektiert hatte, war ihr Mörder.
Über dem Meer sah Jo die ersten Blitze zucken. Die Regenwand zog näher. »Ein Gewitter zieht auf«, sagte sie.
»Ich weiß.«
Dreiundzwanzig
Als die ersten großen Tropfen auf den Boden klatschten, beschleunigte Kirby ihren Schritt. Ihr Suchtrupp hatte sich an der Weggabelung aufgeteilt. Sie hatte den Pfad nach Sanctuary eingeschlagen. Je mehr sie sich dem Waldrand näherte, desto stärker wurde der Regen und desto kälter wehte der Wind. Dann tauchte Brian vor ihr auf, ohne Hut und mit eingezogenem Kopf.
Am Fuß der Terrasse hatte sie ihn eingeholt. Wortlos griff er nach ihrer Hand und zog sie unter das Vordach. Wasser tropfte an ihnen herab.
»Nichts Neues?« Kirby stellte ihren Arztkoffer ab.
»Nein, nichts. Ich komme gerade von der Westseite. Giff hat mit seiner Gruppe den Norden abgesucht.« Müde rieb sich Brian übers Gesicht. »Scheint zu einer Gewohnheit zu werden.«
»Sie ist vor mehr als zwölf Stunden zum letzten Mal gesehen worden.« Kirby blickte in den nun sintflutartigen Regen. »Das ist zu lange. Man wird die Suche unterbrechen müssen, bis das Unwetter vorüber ist. Danach werden wir sie am Strand angespült finden. Das ist die einzige Erklärung. Ihr armer Mann.«
»Es bleibt uns nichts anderes übrig, als abzuwarten. Du brauchst ein trockenes T-Shirt und einen heißen Kaffee.«
»Ja.« Sie strich sich die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Und bei dieser Gelegenheit kann ich mir auch gleich deine Hand ansehen und den Verband erneuern.«
»Der Hand geht’s prima.«
»Das entscheide ich«, sagte sie, während sie ihm ins Haus folgte, »nachdem ich sie mir angesehen habe.«
»Wie du willst. Geh hoch und nimm dir was aus Jos Schrank.«
Das Haus schien inmitten des stürmischen Regens still und verlassen. »Ist sie hier?«
»Nein, ich glaube, sie ist unterwegs.« Brian ging an den Gefrierschrank und nahm eine Dose Bohnensuppe heraus, die er ein paar Wochen zuvor eingefroren hatte.
Als Kirby zehn Minuten später wieder nach unten kam, duftete es in der Küche schon nach frischem Kaffee und heißer Suppe. Die Wärme vertrieb die Anspannung aus ihrem Körper. Sie blieb in der Tür stehen und sah ihm bei der Arbeit zu.
Trotz der bandagierten Hand schnitt er geschickt einige dicke Scheiben von dem dunklen Brot, das er zweifellos selbst gebacken hatte. Sein nasses Hemd klebte ihm am Körper und betonte jeden Muskel. Als er sie mit seinen kühlen blauen Augen ansah, kribbelte es angenehm in ihrem Magen.
»Es duftet wunderbar.«
»Dachte mir, daß du heute noch nichts gegessen hast.«
»Nein, hab’ ich auch nicht – außer dem altbackenen Brötchen heute morgen.« Sie hielt ihm das Hemd entgegen, das sie aus seinem Schrank geholt hatte. »Hier, zieh das an. Du holst dir den Tod in deinen nassen Klamotten.«
»Danke.« Er stellte fest, daß sie in eines von Jos tristen grauen Sweatshirts geschlüpft war. Es hing übergroß an ihr herunter und machte sie nur noch zierlicher. »Du siehst ziemlich verloren in dem Ding aus.«
»Na ja, Jo ist auch einen Kopf größer als ich.« Sie sah interessiert zu, wie er das nasse Hemd über den Kopf zog. Seine feuchte Haut war weich und leicht gebräunt. »Mann, Brian, siehst du gut aus.« Als er ganz offensichtlich irritiert die Stirn runzelte, brach sie in fröhliches Gelächter aus. »Zieh schnell das Hemd über, bevor ich mich vergesse.«
»Ist das eine Drohung oder ein Versprechen?« Bevor sie antworten konnte, stemmte er sie an den Ellbogen in die Luft. Als ihre Gesichter auf gleicher Höhe waren, beugte er sich vor und streifte mit seinem Mund ihre Lippen.
»Ausgezeichnete Brustmuskulatur«, sagte sie atemlos und schlang ihre Beine um seine Taille. »Dein Puls ist etwas erhöht«, murmelte sie mit den Lippen auf seiner Halsschlagader. »Nur ein bißchen schnell.«
»Sie haben mir einen Virus eingepflanzt, Doc Kirby.« Brian schnupperte an ihrem Haar; es duftete nach Regen und Limonen.
»Und er scheint ziemlich hartnäckig zu sein. Ich glaube langsam, er verschwindet nie wieder.« Als sie still blieb, drehte er sie, bis er ihre Augen sehen konnte. »Was willst du von mir, Kirby?«
»Ich dachte, ich
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