Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
seinem Cottage und Wild Horse Cove konzentrierte. Knapp zweihundert Meter lagen zwischen ihm und den anderen. Langsam suchte er mit dem Blick den Boden ab, und als der Grund zunehmend sandig wurde, mehrten sich die Fußabdrücke der anderen, die hier bereits nachgesehen hatten.
Obwohl er wußte, daß es sinnlos war, kletterte er auf die Dünen. Die dahinter gelegene Bucht war gut zu überblicken, und jeder, der sich hier befunden hätte, wäre schon längst entdeckt worden. Aber nur eine Gestalt war nun am Strand zu sehen – ein rastlos auf und ab gehender Mann.
»Nathan?«
Er drehte sich um und sah Jo die Düne heraufstapfen. Auf dem letzten Meter streckte er ihr die Hand entgegen.
»Ich habe eben bei deinem Cottage vorbeigeschaut. Wie ich sehe, weißt du schon Bescheid.«
»Das da unten muß ihr Mann sein. Ich habe ihn ein paarmal gesehen.«
»Tom Peters. Ich bin seit sieben Uhr morgens unterwegs, fotografieren. Eins von den Pendleton-Kindern hat uns vor etwa einer Stunde benachrichtigt. Es hieß, ihre Schuhe seien unten am Wasser gefunden worden.«
»Ja, das habe ich auch gehört.«
»Man sagt, sie sei vielleicht schwimmen gegangen und … Die Strömung hier ist nicht besonders stark, aber wenn man einen Krampf bekommt oder einfach zu weit rausschwimmt …«
»Wäre sie dann nicht von der Flut angeschwemmt worden?«
»Vielleicht. Aber wenn die Strömung sie weiter rausgezogen hat, werden wir sie erst bei der nächsten Flut finden, und zwar im Süden. Barry Fitzsimmons ist auf diese Weise ertrunken. Wir waren etwa sechzehn. Er war ein ausgezeichneter Schwimmer, und eines Tages schwamm er nach einer Strandparty alleine raus. Er hatte getrunken. Am nächsten Morgen fand man ihn bei Ebbe ein paar hundert Meter weiter südlich.«
Nathan wandte den Blick gen Süden, wo die Wellen weniger sanft gingen. Er mußte an Kyle denken, wie er im Mittelmeer versunken war. »Und wo sind dann ihre Kleider?«
»Was?«
»Wenn sie schwimmen gegangen ist, hat sie sich vorher sicher ausgezogen.«
»Kann schon sein. Aber vielleicht ist sie ja schon im Badeanzug hier runter gekommen.«
»Ohne Badetuch?« Es ergab einfach keinen Sinn. »Hat man ihn gefragt, was sie trug, als sie das Haus verließ? Ich gehe runter und spreche mit ihm.«
»Ich denke, wir sollten ihn in Ruhe lassen.«
»Er ist allein und macht sich Sorgen.« Nathan zog Jo hinter sich her, die Düne hinunter. »Vielleicht haben sie sich ja auch gestritten, er hat sie umgebracht und die Leiche beseitigt.«
»Das ist abscheulich und lächerlich. Er ist ein ganz normaler, netter Mensch.«
»Manchmal tun ganz normale, nette Menschen unglaubliche Dinge.«
Im Näherkommen musterte Nathan Tom Peters. Ende Zwanzig, etwa eins achtzig groß, durchtrainierter Körper. Er trug zerknitterte kurze Hosen und ein weißes T-Shirt. Geht wahrscheinlich drei-, viermal pro Woche ins Fitneß-Center, dachte Nathan bei sich. Er war bereits gebräunt, und trotz der Bartstoppeln machte er mit seinem erst kürzlich geschnittenen dunkelblonden Haar einen ordentlichen Eindruck.
Als Nathan ihm in die Augen sah, sah er nur blanke Angst.
»Mr. Peters. Tom.«
»Ich weiß nicht, wo ich noch suchen soll, was ich noch tun kann.« Bei diesen Worten kamen ihm die Tränen. Mit einem schnellen Blinzeln vertrieb er sie. »Meine Freunde sind rüber auf die andere Inselseite gelaufen. Ich bin wieder hierher zurückgegangen. Für alle Fälle.«
»Sie sollten sich setzen.« Behutsam nahm ihn Jo am Arm. »Wir gehen zurück zu Ihrem Cottage. Dort können Sie sich ausruhen. Ich mache Ihnen einen Kaffee.«
»Nein, ich kann hier nicht weg. Sie war hier. Gestern abend war sie hier. Wir haben uns gestritten, mein Gott, so ein blöder Streit. Warum mußte das sein?«
Er vergrub das Gesicht in den Händen, drückte die Finger gegen seine brennenden Augen. »Sie will ein Haus kaufen. Aber wir können es uns noch nicht leisten. Ich hab’ versucht, es ihr zu erklären, aber sie hat mir gar nicht zugehört. Sie ist rausgerannt, und ich war froh, daß sie weg war. Habe mich gefreut, daß ich ins Bett gehen konnte und sie sich draußen abreagiert.«
»Vielleicht ist sie schwimmen gegangen«, sagte Nathan.
»Susan?« Tom lachte kurz auf. »Allein schwimmen, und dazu noch nachts? Nie im Leben. Sie geht ohnehin nie weiter als knietief ins Wasser. Sie haßt es, im Meer zu schwimmen. Sie sagt immer, sie hört Cello-Musik, wenn ihr das Wasser bis an die Knie geht. Sie wissen schon: Der weiße Hai .« Er
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