Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
unmögliche Entscheidung für eine Frau, die nach den strengen Gesetzen der Südstaaten erzogen worden war. Jo gab sich Mühe, beidem gerecht zu werden, und ließ ihren Blick über eine mit säuberlichen Zahlen und gestrichelten Linien übersäte Zeichnung wandern.
Nathan zwang sich, seine Aufmerksamkeit weg von Jos Beinen und hin auf den Entwurf zu lenken. »Nicht schlecht. Machst du die Vermessung selbst?«
»Ja, zusammen mit Bill. Er m acht drüben auf dem Festland Vermessungen und hat die richtige Ausrüstung.«
»Schau mal hier: Wenn du hier einen Winkel« – mit seinem Finger zog er auf dem Papier eine Linie – »anstatt dieser Geraden einfügen würdest, müßtest du dort drüben nicht ausheben und könntest den Garten als Teil der Struktur erhalten.«
»Aber müßte man dann nicht hier diese Ecke abschneiden? Würde das nicht komisch aussehen, wenn man vom Haupthaus kommt? Miss Kate würde Zustände bekommen, wenn ich davon anfange, Türen und Fenster des Haupthauses zu versetzen.«
»An dem bestehenden Gebäude muß nichts verändert werden.« Nathan rollte den Plan weiter auf, so daß die Gesamtansicht zum Vorschein kam. »Gut gemacht«, murmelte er. »Wirklich gut. Jo, hol mir doch bitte ein Blatt Papier von dort drüben.« Abwesend deutete Nathan quer durch den Raum. »Viele meiner Mitarbeiter sind nicht in der Lage, so etwas zu entwerfen.«
»Ehrlich?« Erstaunt riß Giff die Augen auf.
»Wenn du dich doch noch entschließt, den Abschluß zu machen, und ein Praktikum brauchst, sag einfach Bescheid.«
Nathan griff nach einem Stift und zeichnete einige Linien auf das Papier, das Jo ihm gebracht hatte. »Sieh mal, so kann man es auch machen: keinen Winkel, sondern eher eine Rundung. Du verwendest dieselben fließenden Linien wie beim Dach. Die fügen sich ganz natürlich in den Garten ein.«
»Ja, verstehe.« Giff bemerkte, daß sein Entwurf neben den Linien Nathans steif und unbeholfen wirkte. »In einer Million Jahre würde ich es nicht lernen, so etwas zu entwerfen.«
»Klar würdest du das. Das Konzept stammt schließlich von dir. Wenn man eine gute Arbeit vor sich hat, ist es nicht mehr schwer, die eine oder andere Kleinigkeit zu verbessern. Wichtig ist, daß der Grundgedanke stimmt.«
Nathan richtete sich auf und betrachtete seine kühnen Bleistiftstriche aus der Entfernung. Der Anbau stand fix und fertig vor seinem inneren Auge. »Dein Entwurf ist der kundenfreundlichere, weil er kostengünstiger ist und der traditionellen Vorstellung entspricht.«
»Deiner ist der ausgefallenere.«
»Aber es ist nicht immer das, was die Kunden wollen.« Nathan legte den Stift nieder. »Wie dem auch sei: Denk über beide Entwürfe nach, oder zeig Kate einfach beide, so daß sie selbst entscheiden kann. In jedem Fall muß vor dem Baubeginn noch etwas Feinarbeit an den Entwürfen geleistet werden.«
»Hilfst du mir dabei?«
»Klar.« Ohne nachzudenken ergriff Nathan Jos Kaffeebecher und trank daraus. »Sehr gern sogar.«
Erfreut rollte Giff die Entwürfe zusammen. »Ich glaub’, ich fahr schnell rüber zu Miss Kate. Dann kann sie sich in Ruhe überlegen, wie sie’s haben möchte. Ich bin dir wirklich dankbar, Nathan.« Giff tippte an seine Baseballmütze. »Bis später, Jo.«
Jo sah zu, wie Nathan ein neues Blatt Papier holte. Er trank ihren Kaffee aus und begann einen weiteren Entwurf.
»Du weißt nicht mal, was du eben getan hast«, murmelte Jo.
»Wie weit ist das Beet mit den hohen, blauen Blumen von dieser Ecke hier entfernt?«
»Nein.« Jo holte einen frischen Becher aus dem Schrank. »Du hast keine Ahnung, was du getan hast.«
»Was? Oh!« Verblüfft betrachtete er den Kaffeebecher. »Entschuldige, ich habe deinen Kaffee getrunken.«
»Abgesehen davon – was ich sowohl ärgerlich wie liebenswert fand.« Sie legte die Arme um seine Taille. »Du bist ein guter Mensch, Nathan.Ein wirklich guter Mensch.«
»Danke.« Normalität. Eine Stunde lang würden sie sich in Normalität wiegen. »Meinst du, weil ich dir keinen Klaps auf den Po gegeben habe, als du vorhin in meinem T-Shirt aus dem Schlafzimmer gekommen bist – obwohl ich es so sehr wollte?«
»Nein, das war klug. Hast du nicht sein Gesicht gesehen?« Sie berührte seine Wangen. »Ist es dir nicht aufgefallen?«
Erstaunt schüttelte er den Kopf. »Offenbar nicht. Sprichst du von Giff?«
»Ich kenne niemanden, der Giff nicht mag, aber in den Augen der meisten ist er ein geschickter und zuverlässiger Handwerker, mehr nicht.
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