Insel der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Steptanz auf seinem Herz vollführen würde.
Aber Giff war geduldig und klug, und vielleicht würde Lexy nach seiner Pfeife tanzen, bevor er fertig war. Es würde interessant sein, das zu beobachten. Aus sicherer Distanz.
Er blickte hinab auf die Akeleistauden, auf ihre kleinen violetten und gelben Trompetenblüten. Sie waren fröhlich und hübsch, und es war seine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß sie auch so blieben. Er griff in die große Tasche seiner Gartenschürze, um den Handrechen herauszufischen. In diesem Augenblick hörte er das Wimmern.
Er blickte auf und sah die Frau in der Hängematte. Und sein Herz setzte einen Schlag lang aus. In dem grünen Schatten schimmerte ihr Haar dunkelrot, und ihre herabhängende, schmale Hand wirkte blaß und elegant. Vor Schreck war er einen Schritt auf sie zugegangen, aber als sie unruhig den Kopf drehte, trat er wieder zurück.
Nein, es war nicht seine Mutter – es war seine Schwester. Verblüffend, wie sehr sie Annabelle ähnelte, wenn man sie aus einer bestimmten Perspektive, in einem bestimmten Licht
sah. Und das machte es schwierig, die Erinnerungen zu begraben und den Schmerz zu vergessen. Seine Mutter hatte es geliebt, an heißen Sommernachmittagen eine Stunde in der Hängematte zu schwingen. Und wenn Brian zufällig vorbeikam, hatte er sich neben sie ins Gras gesetzt. Sie fuhr ihm liebevoll durchs Haar und erkundigte sich nach den Abenteuern, die er tagsüber erlebt hatte.
Und sie hörte immer zu. Oder tat wenigstens so, dachte Brian jetzt. Wahrscheinlich hatte sie ihren Gedanken nachgehangen, während er plapperte. Vielleicht hatte sie von ihrem Liebhaber geträumt, davon, ihrem Mann und den Kindern zu entkommen. Von der Freiheit, die ihr mehr bedeutete als ihre Familie.
Aber es war Jo, die jetzt in der Hängematte schlief. Und offensichtlich träumte sie nicht gerade friedlich.
»Jo.« Er legte seine Hand auf ihre Schulter und rüttelte sie sanft. »Komm schon, Schatz, wach auf.«
Im Traum grub das Ungeheuer, das sie zwischen den gespenstisch verzerrten, sturmgepeitschten Bäumen des Waldes hindurch verfolgte, seine scharfen Nägel in ihr Fleisch.
»Nein!« Sie schnellte in die Höhe und entzog sich seinem Griff. »Faß mich nicht an!«
»Ganz ruhig.« Er spürte den Luftzug ihrer Faust, die an seinem Gesicht vorbeischoß, und war sich nicht ganz sicher, ob er ärgerlich oder beeindruckt sein sollte. »Hey, ich hab’ keine Lust auf ’ne gebrochene Nase.«
Mit rasendem Atem und hohlem Blick starrte sie ihn an. »Brian.« Sie ließ sich zurück in die Hängematte fallen. »Tut mir leid. Ich hab’ schlecht geträumt.«
»Hab’ ich mir fast gedacht.« Die Besorgnis überwog letztlich, und er machte sich plötzlich mehr Sorgen, als er es für möglich gehalten hätte. Kate hatte wie immer recht. Irgend etwas stimmte nicht mit Jo. Er ließ sich am Rand der Hängematte nieder. »Willst du irgendwas? Soll ich dir ein Glas Wasser holen?«
»Nein.« Als sie die Augen wieder öffnete, stellte sie überrascht fest, daß er seine Hand schützend über ihre gelegt hatte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal
ihre Hand berührt hatte. Oder sie seine. »Nein, danke, mir geht’s gut. War nur ein Alptraum.«
»Schon als Kind hattest du oft Alpträume. Du bist weinend aufgewacht und hast nach Daddy gerufen.«
»Ja.« Sie brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Manche Dinge legt man eben nicht ab.«
»Hast du noch viele Alpträume?« Er bemühte sich, seine Stimme beiläufig klingen zu lassen, aber er bemerkte das Aufflackern in ihren Augen.
»Jedenfalls rufe ich nicht mehr nach Daddy«, antwortete sie förmlich.
»Nein, das hab’ ich auch nicht angenommen.« Er wollte aufstehen, weggehen. Gingen ihn ihre Probleme denn nicht schon seit Jahren nichts mehr an? Aber er blieb sitzen und schaukelte die Hängematte sanft hin und her.
»Es ist kein Verbrechen, seine Probleme allein zu lösen.«
»Tust du das, Jo? Probleme lösen? Keine Angst – ich hab’ genug eigene, ich muß mich nicht auch noch um deine kümmern.«
Aber er blieb immer noch bei ihr sitzen, und sie schaukelten gemeinsam im Schatten der Bäume. Ein seltsames Gefühl trieb ihr die Tränen in die Augen. Vorsichtig tastete sie sich vor. »Ich habe in letzter Zeit viel über Mama nachgedacht.«
Seine Schultern strafften sich. »Warum?«
»Ich habe sie oft gesehen, im Geist.« Das verschwundene Foto. »Habe oft von ihr geträumt. Ich glaube, sie ist tot.«
Tränen liefen ihr
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