Insel der Traumpfade Roman
nahm das Bild und warf es auf einen Sessel, ohne es auch nur eines Blickes zu würdigen. »Wie geht es meinem großen Jungen?«, fragte er, packte Harry, der an seinem Bein hing, und schwenkte ihn durch die Luft, bis er vor Vergnügen jauchzte. »Der sitzt bestimmt nicht rum und malt Bilder.«
Eloise sah, wie sich auf Charles’ Gesicht Kränkung und Enttäuschung abzeichneten. »Charles hat den ganzen Tag an dem Bild gesessen«, sagte sie steif und zog das Kind an ihre Seite. »Du hättest es dir wenigstens ansehen können.«
Edward ließ Harry auf den Sessel fallen, so dass er auf dem Bild landete und es zerriss. »Wenn er etwas Vernünftiges macht, werdeich ihm gebührend Aufmerksamkeit schenken. Harry dagegen braucht jetzt wohl eine gute Keilerei.« Er packte das Kind und begann, es zu kitzeln.
»Bitte, lass das«, bat Eloise. »Meg hat ohnehin schon genug Schwierigkeiten, ihn schlafen zu legen.«
Edward hörte auf und strich sich die Haare zurück. »Offenbar passt es dir weder, wenn ich meine Söhne ignoriere, noch, wenn ich mich mit ihnen beschäftige. Ich kann es dir nicht recht machen, Eloise.« Er griff nach der Karaffe. »Schaff sie hier raus. Sie gehören längst ins Bett, und ich brauche einen Schluck zu trinken, um den Staub herunterzuspülen.«
»Das Abendessen wird gleich aufgetragen«, sagte sie kühl, nahm die Jungen mit sich aus dem Zimmer und schloss die Tür fest hinter sich. Sie legte einen Arm um Charles, nahm Harry an die Hand und ging die Treppe zum Kinderzimmer hinauf. Es würde eine Weile dauern, sie zur Ruhe zu bringen, doch mit Megs Hilfe und einem kleinen Schluck Rum würden sie nicht aufwachen, wenn man sie später aus dem Bett holte.
Oben an der Treppe blieb sie stehen und begegnete Megs Blick. Die Angst war beinahe mit Händen zu greifen, doch je näher der Zeitpunkt ihrer Flucht rückte, umso mehr verlieh der Hass auf ihren Mann Eloise eine Entschlusskraft, die sie unbesiegbar machte.
Beim Abendessen war Edward mitteilsam, doch ihre Frostigkeit war nicht unbemerkt geblieben. »Ich komme nicht nach Hause, um einer sauertöpfischen Miene zu begegnen«, schnaubte er. »Wenn du nicht imstande bist, dich freundlich aufzuführen, kannst du auch den Tisch verlassen.«
Abscheu und Groll stiegen in Eloise auf. Sie warf ihre Serviette hin und sah ihren Mann zum ersten Mal an jenem Abend an. »Ich bin keine Bedienstete, die man herumkommandieren kann«, sagte sie, »und da wir gerade beim Thema Höflichkeit sind, solltest du dir dein eigenes Verhalten ansehen.«
»Meine Manieren, höflich oder wie auch immer, stehen nicht zur Debatte.«
»Aber in einem gewissen Prozess im Jahre 1793 standen sie zur Debatte.« Die Worte waren ihr ungewollt entschlüpft und konnten nicht zurückgenommen werden. Mit unbewegtem Blick sah sie zu, wie er rot anlief, ihr Herz jedoch trommelte, und ihre Hände waren fest im Schoß verschränkt.
»Dann wird dir auch bekannt sein, dass die Klage abgewiesen wurde«, sagte er nach langem Schweigen in gefährlich ruhigem Ton.
Eloise achtete nicht auf die Warnzeichen, denn sie konnte nicht mehr schweigen. »Abgewiesen, ja, aber du und deine Freunde wart trotzdem schuldig. Tatsächlich hat man dich deshalb versetzt. Aber Millicent Parker hat den eigentlichen Preis für deine Tat gezahlt, als sie sich an dem Abend deiner Freilassung erhängt hat.«
»Man kann mir wohl kaum die Schuld am Geisteszustand eines bedauernswerten Mädchens geben«, sagte er schleppend.
»Und ob«, entgegnete sie mit einer Bestimmtheit, die sie selbst erstaunte. »Der Beweis lag auf der Hand, und du bist dem Gefängnis nur entkommen, weil dein Vater den Charakter dieses Mädchens in den Dreck gezogen hat. Du und die anderen habt unter Eid falsch ausgesagt.«
»Hat diese Unterhaltung einen Sinn, Eloise? Es ist langweilig, diese alten Geschichten wieder aufzuwärmen.«
»Der Sinn ist, Edward, dass du mich konsequent getäuscht hast.«
»Das habe ich nicht.«
»Du hast sogar gelogen, als ich nach der Wahrheit fragte – aber jetzt weiß ich, wer du bist.«
»Und wer bin ich?« Seine Stimme war leise, sein Blick im Licht der Kerzen beinahe barbarisch.
Eloise schluckte. Sie hatte jetzt eine Heidenangst, doch sie war zu weit gegangen, um aufzuhören. »Du kannst meine Anschuldigungen nicht leugnen, denn ich habe unwiderlegbare Beweise. Du bist ein Lügner, ein Betrüger, ein Mörder und Dieb.«
Seine Kinnpartie wurde hart, seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Sei vorsichtig,
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