Insel der Traumpfade Roman
auf. »Wir sehen uns morgen um elf.«
Nachdem Carlton gegangen war, sank Edward wieder auf den Stuhl. Er wollte schon eine Flasche Whisky bestellen, doch ihm wurde schlagartig bewusst, dass er dafür kein Geld in der Tasche hatte. Mit leerem Blick betrachtete er den Rest Wein in seinem Glas und kippte ihn dann hinunter. Er schmeckte bitter – wie Blut.
Watsons Bay, Oktober 1804
Eloise hielt ihr Pferd im Schritttempo, während die drei Jungen ihre Ponys zum Trab anspornten. Um Harry und Oliver war ihr nicht bange – sie ritten inzwischen, als wären sie dazu geboren –, Charles hingegen hüpfte auf dem struppigen Rücken seines Reittiers auf und ab, und sie hoffte nur, dass er diesmal sitzen bliebe. Der Sand war weich, und seine Stürze wurden abgefedert, doch Harry lenkte die Ponys näher ans Wasser, wo der Untergrund weniger nachgab.
Sie trieb die Stute zum Trab an und folgte ihnen. Charles, der gerade seinen Geburtstag gefeiert hatte, saß recht entspannt im Sattel und lachte, als das Wasser unter den Hufen seines Ponys bis zu seinen Beinen aufspritzte. Wenn er doch nur zusammen mit seinem Vater auch so sorglos sein könnte, dachte sie.
An diesem Morgen waren sie hierhergekommen, um die Kühle der frühen Stunden und die Freiheit zu genießen, die nur ein leerer Strand zu bieten hatte. Das Haus war außer Sichtweite, Edward schlief nach seinen nächtlichen Ausschweifungen aus, und Eloise wollte ihre Sorge über das eigenartige Verhalten ihres Mannes seitjenem Tag vor zwei Wochen vergessen. Die Welt schien hell und frisch nach dem Trübsinn, der in den vergangenen Wochen über ihnen gehangen hatte.
Edwards Laune hatte sich von Tag zu Tag weiter verschlechtert, die Alpträume kehrten immer häufiger wieder, woraufhin er derart übellaunig wurde, dass sie um seinen Verstand fürchtete. Sie hatte versucht herauszufinden, was geschehen war, weshalb er so unleidlich war, doch Edward hatte jede Frage abgeblockt. Das plötzliche Verschwinden der Pferde war nicht kommentiert worden, und ihr war aufgefallen, dass mehrere gute Porzellanstücke in den Schränken fehlten, dass ihre Diamantkette und die Ohrringe sich nicht mehr in ihrer Schublade befanden. Daraus konnte sie nur schließen, dass Carlton Edwards Schulden eingefordert hatte.
Vermutlich sollte sie dankbar sein, dass Edward die Ponys und ihre Stute nicht verkauft hatte – den Verlust ihrer Diamanten hingegen nahm sie ihm übel, denn sie waren ein Geschenk ihres Vaters gewesen. Wenn er nur aus seiner Erfahrung lernen würde, dachte sie. Das Kartenspiel und der leichtfertige Umgang mit Geld mussten aufhören, bevor sie das Haus und alles andere verloren – doch Edward war entschlossen, sie im Dunkeln zu lassen.
Der Tag war viel zu schön für diese düsteren Gedanken. Sie trieb die Stute zum Galopp an, und ihr langes Haar und ihre Röcke wehten im Wind. Ein Gefühl plötzlicher Freude durchflutete Eloise, während ihre Söhne und sie auf den Rücken ihrer Pferde über den Strand dahinflogen. »Wir treffen uns am Ende der Bucht«, rief sie den Jungen zu und galoppierte an ihnen vorbei.
Sie beugte sich im Sattel nach vorn, belebt von der Schnelligkeit ihres Pferdes. Dann sah sie in der Ferne einen Reiter und war schlagartig enttäuscht, dass ihre Einsamkeit ein Ende hatte.
Sein Pferd stand im flach auslaufenden Wasser, und selbst aus dieser Entfernung sah sie, dass er sie beobachtete. Plötzlich war sie wachsam, sie zügelte ihre Stute – doch als sie näherkam, sah sie, dass dieser Mann kein Fremder war. Das geliebte Gesicht wurdeimmer deutlicher, die kräftige, lebensprühende Gestalt, die sie in ihren Träumen gesehen hatte, stand nun plötzlich vor ihr.
»George«, flüsterte sie und hielt ihr Pferd neben ihm an. Ihre Blicke trafen sich, das Verlangen war deutlich, aber unausgesprochen.
»Ich bin so froh, dass du endlich gekommen bist«, sagte er. »In den vergangenen Wochen bin ich jeden Tag hier gewesen und habe mich schon gefragt, ob du deine Strandritte eingestellt hast.«
»Ich bin mit den Jungen über die Felder in den Wald geritten.« Sie warf einen Blick über die Schulter. Die drei kleinen Gestalten waren noch fern. »Meine Kinder sind bei mir«, sagte sie drängend. »Sie dürfen dich nicht sehen.«
Fragen tauchten in seinen Augen auf. »Du hast also jetzt drei Söhne«, stellte er fest.
»Sie sind meine ganze Freude.«
»Bist du denn glücklich, Eloise?«
Liebe und Besorgnis zeichneten sich auf seinem Gesicht ab. Sie konnte ihm nicht
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