Insel der Traumpfade Roman
hatte. Diese lästigen Gedanken erschreckten ihn, und er ließ von ihnen ab.
Jonathan betrachtete ihn nachdenklich. »Was meine Abwesenheit betrifft, so bedauere ich, dass ich mich nicht um dich kümmern konnte, als du aufgewachsen bist – aber wir beide wissen, dass deine Mutter alles versuchte, um uns auseinanderzuhalten.«
An diesem Punkt fand Edward seine Stimme wieder. »Wie günstig für dich, dass sie nicht mehr lebt und sich nicht mehr gegen deine Verleumdungen wehren kann!«
Jonathan zerdrückte seinen Stumpen unter dem Absatz. »Edward, Edward«, seufzte er, »warum willst du mich unbedingt hassen?«
»Du bedeutest mir nicht genug, um dich zu hassen, aber ich würde es vorziehen, dich nie wieder sehen zu müssen.«
Jonathan steckte die Finger in seine Westentasche und zog seine Uhr heraus. Das silberne Gehäuse glitzerte im Mondlicht, und das Uhrwerk schlug zur halben Stunde. »Das ist nicht möglich, jetzt, da ich weiß, dass ich einen Enkel habe.«
»Ein bisschen spät für dich, den Patriarchen zu spielen, meinst du nicht?«
Jonathan antwortete nicht auf die bittere Frage. »Deine Eloise ist ein nettes Mädchen«, sagte er, während der leise Glockenton verklang. »Sie wird eine feine Gräfin abgeben, wenn die Zeit kommt, wenn du sie mit der Liebe und Achtung behandelst, die sie verdient.« Er klappte die Uhr zu. »Denk daran, Edward, der Brief ist noch beim Anwalt. Eine falsche Bewegung deinerseits, und ichwerde dafür sorgen, dass sie die Wahrheit über deine Vergangenheit erfährt.«
»Das ist Erpressung.«
»Ein hässliches Wort für eine unschöne Situation«, erwiderte Jonathan. Er wich dem Blick seines Sohnes nicht aus. »Deine Ehe ist noch jung, doch im Lauf der Zeit wird sie dir vielleicht die Reife und Weisheit bringen, die dir noch abgehen. Eloise ist eine kluge junge Frau, und ich freue mich darauf, ihren Vater, den Baron, kennenzulernen.«
Edward hatte wenig Interesse an der Meinung seines Vaters. Jedenfalls war er in Gedanken gerade ganz woanders. »Ich kann mich an diese Uhr nicht erinnern«, sagte er.
Der plötzliche Themenwechsel kam für seinen Vater sehr überraschend. »Ich habe sie in London gekauft, bevor ich hierherfuhr.«
»Und wo ist Großvaters Taschenuhr?«
Jonathan runzelte die Stirn. »Woher weißt du davon?«
»Großmutter hat sie erwähnt. Sie sagte, sie sei aus Gold gewesen mit einem großen Diamanten im Gehäuse, und sie würde irgendwann einmal mir gehören.«
»Ich habe sie ein paar Jahre vor deiner Geburt verschenkt.« Jonathan ließ die Uhr wieder in seine Westentasche gleiten. »Meine Mutter hätte dir das nicht versprechen sollen.«
»Du hattest nicht das Recht, sie wegzugeben«, fuhr Edward ihn an.
»Es war meine Uhr, und ich konnte damit tun und lassen, was ich wollte«, gab Jonathan zurück. »Das Mädchen, das die Uhr bekommen hat, wusste zu schätzen, dass dieses Geschenk ein Zeichen tiefer Zuneigung war.«
»Und wie viele andere Erbstücke hast du deinen Geliebten geschenkt?«, fragte Edward höhnisch.
»Keine.« Jonathan glättete seinen Schnurrbart. »Ich war damals jung und fern der Heimat, in Tahiti. Die Uhr war das einzig Wertvolle, das ich Lianni schenken konnte. Lianni war mir ans Herz gewachsen, und da es Jahre vor der Heirat mit deiner Mutter geschah, dürfte es dich nichts angehen.«
Edward schnaubte. »Du hast es also für angebracht gehalten, das, was Teil meines Erbes hätte sein sollen, einer ausländischen Dirne zu schenken. Ich frage mich, warum mich das nicht einmal überrascht?«
Jonathan zuckte mit den Schultern. »Vorbei ist vorbei«, sagte er, »und dein Erbe ist auch ohne die Uhr mehr als beträchtlich.« Er nahm seinen Stock mit dem Elfenbeingriff zur Hand. »Da unsere Unterhaltung anscheinend beendet ist, mache ich mich auf den Weg. Gute Nacht, Edward.«
Edward sah seinem Vater nach und stellte dabei fest, dass der Stock reine Zier war. Der alte Mistkerl war gesund wie eh und je, trotz seiner sechsundvierzig Lenze. So wütend er auch war, Edward sehnte sich danach, dass sich etwas zwischen ihnen änderte. Doch die Würfel waren vor vielen Jahren gefallen, und er musste sich damit abfinden, dass die Kluft zwischen ihnen zu tief war. Jetzt würde er sich erst einmal betrinken.
Sechs
Hawks Head Farm, Weihnachten 1797
F lirrende Hitze lag über dem Weideland, deshalb hatten Susan und Bess den Tisch auf der Veranda gedeckt, wo man durch die Brise vom Fluss her wenigstens auf etwas Kühlung hoffen konnte. Die
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