Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
Vom Netzwerk:
der ihm am nächsten stand. Er riss ihm den Hut herunter und zog heftig an seinem Mantel und dem Rock darunter.
    »Ich glaube, wir sollen die Hüte abnehmen und die Mäntel ausziehen.«
    Alle gehorchten.
    »Los, weiter!«
    Wieder starrten sie ihn an.
    Der Mann knirschte mit den Zähnen, schloss die Augen und sagte dann überdeutlich: »Hosen auch aus. Hemden anbehalten.«
    Alle gehorchten.
    »Fertig, Sir!«, rief der Mann.
    Ein zweiter Mann kam herein. »Von wo seid ihr?«, wollte er wissen.
    »Aus Gloucester«, antwortete Ike.
    »Aha, aus dem Westen.« Er sah den ersten Mann an. »Mit denen müssen Sie ganz deutlich sprechen, unseren Dialekt verstehen die nicht.« An die Häftlinge gewandt fuhr er fort: »Ich bin der Arzt. Ist jemand krank?«
    Wohl in der Annahme, das allgemeine Gemurmel drücke Verneinung aus, nickte er und seufzte. »Zieht die Hemden hoch. Mal sehen, ob es einige besonders galante Franzosen unter euch gibt.« Er untersuchte ihre Penisse auf Syphilisgeschwüre, und als er keine fand, seufzte er erneut. »Bene«, sagte er zu Matty, dann zu den Häftlingen: »Ihr seid gesund, aber das kann sich schnell ändern.« Im Begriff, die Kajüte zu verlassen, fügte er noch hinzu: »Zieht euch wieder an und wartet.«
    Sie zogen sich an und warteten.
    Eine Stunde verging. Die Häftlinge setzten sich, den Rücken an die Wand gelehnt. Unter den Beinen spürten sie die sanften Bewegungen des vertäuten Schiffes. Steuerlos, dachte Richard. Wir sind genauso steuerlos wie dieser Kasten, der früher einmal ein Schiff
war. Wir sind weiter von zu Hause entfernt als je zuvor und haben keine Ahnung, was uns erwartet. Den Jüngeren hat es die Sprache verschlagen, sogar Ike Rogers ist verunsichert. Und ich habe Angst.
    Die Häftlinge hörten Schritte über die Holzplanken näher kommen und das vertraute Klirren von Ketten. Sie zuckten zusammen, warfen sich unbehagliche Blicke zu und standen ungeschickt auf.
    »Handschellen für zwölf Landeier!«, rief der erste Mann durch die Tür. »Setzt euch und keine Bewegung.«
    Die Ketten waren sechs Zoll länger als die von Bristol und Gloucester und bereits an die Fußfesseln angeschweißt. Die Fußfesseln waren leichter und biegsam. Der muskulöse Schmied konnte sie um die Knöchel des Häftlings biegen und zusammendrücken, bis die Löcher der beiden Enden sich überlappten. Anschließend schob er von innen einen Bolzen durch die Löcher, packte das Bein des Häftlings und schob die lange Zunge eines Ambosses zwischen Bein und Fußfessel. Zwei schwere Schläge mit dem Hammer, und er hatte das andere Ende des Bolzens für immer mit dem Eisenband vernietet.
    Diese Fesseln trage ich jetzt sechs Jahre oder noch länger, dachte Richard und rieb sich die schmerzenden Knöchel. Für ein halbes Jahr würde sich der Aufwand ja gar nicht lohnen. Ich habe sie auch noch in der Botany Bay an - so lange, bis ich meine Strafe abgesessen habe.
    Ein zweiter Schmied legte mit ebenso großem Geschick den anderen sechs Häftlingen aus Gloucester Fußfesseln an. Binnen einer halben Stunde hatten die beiden ihre Arbeit erledigt, ihre Helfer angewiesen, die Werkzeuge wieder einzupacken, und die Kajüte verlassen. Zwei Wachen blieben zurück. Matty, offenbar der Gehilfe des Arztes, war ebenfalls verschwunden. Doch hatte er die Wärter offenbar über die Verständnisschwierigkeiten mit den Gefangenen informiert, denn der Wärter sprach ebenfalls überdeutlich mit ihnen.
    »Ihr esst und schlaft heute Nacht hier«, sagte der Wärter barsch und klopfte mit dem Griff seines kurzen Knüppels auf den Handteller seiner anderen Hand. »Ihr könnt reden und rumlaufen. Hier
habt ihr einen Eimer.« Er und sein Begleiter verließen die Kajüte und verriegelten die Tür.
    Die zwei Jungen aus Wiltshire wischten sich Tränen aus dem Gesicht. Die anderen hatten trockene Augen. Nach Reden war niemandem zu Mute, bis Will Connelly schließlich aufstand und schlurfend auf und ab ging.
    »Die Kette trägt sich angenehmer«, sagte er und hob einen Fuß hoch. »Sie muss an die dreißig Zoll lang sein. Damit kann man gut laufen.«
    Richard fuhr mit den Fingern über die Fußfesseln und stellte fest, dass sie abgerundete Kanten hatten. »Und sie werden nicht so scheuern. Da brauchen wir weniger Lappen.«
    »Richtig gut zum Arbeiten«, sagte Bill Whiting. »Was das wohl für eine Arbeit sein wird?«
    Kurz vor Einbruch der Dunkelheit brachte man ihnen Dünnbier, altbackenes, dunkles Schwarzbrot und ein Gemisch aus gekochtem Kohl

Weitere Kostenlose Bücher