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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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die Ruderer weniger Mühe und die Häftlinge konnten einen Blick auf die drei Gefangenenschiffe werfen. Die Schiffe boten ein trauriges Bild. Die Besanmasten waren längst verschwunden, die Großmasten in vierzig Fuß Höhe abgebrochen, die Fockmasten zwar mehr oder weniger intakt, aber ihrer Wanten beraubt. An zwischen Fock- und Großmast gespannten Leinen und an den Seilen, die den Fockmast mit dem stummelartigen Bugspriet verbanden, hingen Kleider zum Trocknen. Auf den Decks standen in heillosem Durcheinander Holzhütten und Anbauten, auf deren Dach sich ein ganzer Wald von in alle Richtungen abstehenden eisernen Kaminen erhob. Weitere Verschläge zierten das Achterdeck, das Vorderdeck und die Achterhütten. Die Censor und die Justitia sahen aus wie Fossilien. Wahrscheinlich waren sie seinerzeit mit Königin
Elizabeth’ Flotte gegen die spanische Armada in See gestochen - die Farbe war spurlos verschwunden, die Kupfernägel mit Patina überzogen, die Planken rissig.
    Die Ceres dagegen schien erst ein Jahrhundert auf dem Buckel zu haben. Das Schwarz-Gelb der Marine war stellenweise noch zu erkennen, und unter dem Bugspriet sah man die Reste einer Galionsfigur, eine barbusige Frau mit weizenblonden Haaren, der ein Witzbold noch leuchtend rote Brustwarzen verpasst hatte. Die Geschützpforten der Censor und der Justitia waren vernagelt, die der Ceres waren ganz entfernt und durch Gitter aus massiven Eisenstäben ersetzt worden. Die in solchen Dingen erfahrenen Sträflinge aus Bristol schlossen daraus, dass das Schiff unter dem Oberdeck noch zwei weitere Decks hatte, ein Unterdeck und ein Orlopdeck. Die Ceres war einst also ein Linienschiff 2. Ranges mit 90 Kanonen gewesen. Kein Fracht- oder Sklavenschiff hatte so viele Geschützpforten.
    Richard überlegte, wie um alles in der Welt sie mit ihren Sachen eine Strickleiter hinaufkommen sollten. Mit den Ketten schien es unmöglich. Doch der ganze Stolz des überschwänglichen Mr Duncan Campbell war eine auf einer schwankenden Plattform angebrachte hölzerne Treppe. Die Kiste in den Armen und zwei Säcke mit weiteren Habseligkeiten über die Schultern geworfen, kletterte Richard hinter einer mit einem Knüppel bewaffneten Wache als Erster über die Bordwand des Leichters und stieg die Stufen bis zu einer Öffnung in der Reling fünf Meter über ihm hinauf. Die Ceres war ein großes Schiff 2. Ranges gewesen.
    »Mr’Anks!«, brüllte der Aufseher.
    Ein wichtig aussehender, aber schlampig gekleideter Kerl tauchte zwischen zwei Holzschuppen auf, einen Zahnstocher zwischen den Zähnen. Im Hintergrund sah Richard eine Gestalt in einem Rock vorbeihuschen, und er hörte Frauenstimmen. Offenbar wohnten die meisten Wärter in diesen baufälligen Quartieren.
    »Ja?«, fragte der wichtig aussehende Kerl.
    »Zwölf Sträflinge aus Gloucester, Mr’Anks. Mr Campbell sagt, das sind die neuen Mannschaften für die neuen Baggerboote. Alle kerngesund, meint der Doktor.«

    »Wieder Bauern!«, rief Mr Hanks empört. »Fast die Hälfte der Leute an Bord sind mittlerweile Bauern, Mr Sykes.« Er wandte sich den Häftlingen zu. »Ich bin’Erbert’Anks, der Aufseher hier. Bringen Sie die Gefangenen ins Orlopdeck, Mr Sykes. Aber zuerst noch die Gefängnisregeln, also sperrt die Ohren auf und hört zu, sie werden nämlich nicht wiederholt. Besuchszeit ist sonntags nach dem Gottesdienst - Gottesdienst ist Vorschrift. Wir sind hier alle brave Anglikaner, Abweichler gleich welcher Sorte werden nicht geduldet. Alle Besucher werden durchsucht. Ihr Geld müssen sie bei mir deponieren, alle Nahrungsmittel, die sie dabeihaben, werden beschlagnahmt. Warum? Weil die Gauner in ihren Kuchen und Puddings Feilen an Bord schmuggeln.«
    Mr Hanks hielt inne und musterte seine Zuhörer mit einer eigenartigen Mischung aus Schadenfreude und Strenge. Seine Ansprache bereitete ihm sichtlich Vergnügen. »An Bord ist das Orlopdeck euer Zuhause. Nur ich kann euch rauslassen, aber das kommt nicht oft vor. Arbeiten, schlafen, arbeiten, schlafen, von Montag bis Samstag. Wenn das Wetter mitmacht, arbeitet ihr, und damit meine ich auch arbeiten. Heute ist kein Tag zum Arbeiten, weil es verdammt noch mal zu stark regnet. Ihr esst, was ihr bekommt, und ich entscheide, was ihr trinkt. Gin ist teuer, und ihr bekommt ihn nur von mir. Ein halbes Pint zu sechs Pennys.«
    Wieder folgte eine Pause. Mr Hanks räusperte sich und spuckte den Gefangenen vor die Füße. »Ihr esst zu sechst. Das Essen holt ihr vom Proviantmeister.

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