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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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Schuldspruch erwarteten. Außer ihm konnten sich nur zwei einen Anwalt leisten: Bill Whiting und Isaac Rogers. Ihr Verteidiger war ebenfalls James Hyde, was Richard vermuten ließ, dass gar kein anderer Anwalt zur Wahl stand.
    »Hofft denn keiner, dass er freikommt?«, fragte Richard Lizzie.
    Seine Freundin, die schon drei Verhandlungen vor dem Bezirksgericht hinter sich hatte, sah ihn verständnislos an. »Wir kommen nicht frei, Richard. Wie sollte das denn gehen? Der Staatsanwalt und die Zeugen liefern die Beweise, und die Geschworenen glauben, was sie hören. Fast alle von uns sind schuldig, obwohl ich auch einige kenne, die Opfer von Verleumdungen wurden. Trunkenheit ist keine Entschuldigung, und wenn wir hochgestellte Freunde hätten, säßen wir nicht in diesem Gefängnis.«
    »Gibt es überhaupt keine Freisprüche?«
    »Höchstens wenn viele Fälle verhandelt werden.« Lizzie saß auf seinem Knie und strich ihm über die Haare wie einem Kind. »Mach dir keine Hoffnungen, Schätzchen. Dass du als Angeklagter vor ihnen stehst, reicht den Geschworenen schon für eine Verurteilung. Aber setz bitte deine Perücke auf.«
    An Händen und Füßen gefesselt schlurfte Richard am frühen Morgen des 23. März aus der Gemeinschaftszelle. Er trug seinen neuen Anzug - eine einfache schwarze Jacke, eine schwarze Weste und eine schwarze Hose - und neue schwarze Schuhe. Hand- und Fußfesseln waren mit sauberen Lappen gepolstert. Nur die Perücke hatte er nicht auf; das Ding hatte sich zu scheußlich angefühlt. Sieben andere brachen mit ihm auf: Willy Insell, Betty Mason, Bess Parker, Jimmy Price, Joey Long, Bill Whiting und Sam Day, ein Siebzehnjähriger aus Dursley, der beschuldigt wurde, einem Weber zwei Pfund Garn gestohlen zu haben.
    Die Angeklagten wurden durch eine Hintertür ins Rathaus gebracht und hastig eine Treppe in den Keller hinuntergeführt, ohne einen Blick in den Saal werfen zu können, in dem zwar nur mit Worten gefochten wurde, doch womöglich mit tödlichen Folgen.
    »Wie lange dauert das denn?«, fragte Bess Parker Richard flüsternd und mit ängstlich aufgerissenen Augen. Ihr Kind, ein Junge, war zu ihrem großen Kummer zwei Tage nach der Geburt am Fleckfieber gestorben.
    »Wahrscheinlich nicht lange. Das Gericht arbeitet höchstens sechs Stunden am Tag und wir sind zu acht. Sie müssen ihre Urteile so schnell produzieren wie ein Metzger seine Würstchen.«

    »Ich habe solche Angst!«, heulte Betty Mason. Sie trauerte immer noch um ihr tot geborenes Töchterchen.
    Jimmy Price wurde als Erster abgeholt. Er war noch nicht zurück, als Bess Parker an die Reihe kam. Erst als auch Betty Mason nicht mehr erschien, begriffen die anderen, dass die Angeklagten nach der Verhandlung offenbar direkt ins Gefängnis zurückgebracht wurden.
    Dann ging Sam Day. Jetzt warteten nur noch Richard, Willy, Joey Long und Bill Whiting. Einige Stunden vergingen.
    »Die Herren Richter machen Mittagspause«, sagte Whiting mit unverwüstlichem Humor. Er leckte sich die Lippen. »Gänsebraten, Rinderbraten, Hammelbraten, Flammeris, Kuchen, Torten, Pasteten und Puddings - wir haben Glück, Richard! Die Bäuche der Herren Richter werden voll sein und ihre Köpfe von Bordeaux und Portwein benebelt.«
    »Ich glaube nicht, dass das gut ist«, sagte Richard, dem nicht nach Scherzen zu Mute war. »Die Gicht wird ihnen zusetzen und die Verdauung ebenfalls.«
    »Du bist ein schöner Tröster in der Not!«
    Richard und Willy wurden als Letzte hinaufgebracht, der Uhr an der Wand des Gerichtssaals zufolge um halb vier. Die Treppe führte direkt zur Anklagebank, nur dass dort keine Bank stand und die Angeklagten stehen mussten. Das helle Licht blendete sie. Ein mit einer Hellebarde bewaffneter Mann in mittelalterlicher Aufmachung bewachte sie mit teilnahmsloser Miene. Der Raum war nicht sonderlich groß, hatte aber auf halber Höhe Zuschauergalerien. Die Leute unten im Saal schienen alle irgendwie am Prozess beteiligt. Die beiden Richter trugen pelzbesetzte karmesinrote Roben und Allongeperücken und thronten auf einem hohen Podest. Um sie und unterhalb von ihnen saßen weitere Gerichtsbeamte, andere Amtspersonen liefen im Saal umher. Richard wusste nicht, wer von ihnen sein Anwalt James Hyde war. Die zwölf Geschworenen standen in einer Art Pferch und traten verstohlen von einem Fuß auf den anderen, um ihre müden Beine zu entlasten. Richard wusste, dass die freien Männer vom Tweed bis zum Kanal das Amt des Geschworenen schon deshalb nur

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