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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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Oberaufseher war gewarnt worden: Die Richter des Bezirksfinanzgerichts wünschten sein Gefängnis womöglich zu besichtigen. Das Parlament beschäftigte sich immer noch eingehend mit John Howards Bericht über die Haftbedingungen von Schuldnern in englischen Gefängnissen. Daraufhin hatte der Aufseher getan, was er konnte.
    »Wie geht es Vater?«, fragte Richard als Erstes.
    »Schon besser, aber noch nicht gut genug für die Reise hierher«, sagte Vetter James, der Apotheker. »Er wünscht dir alles Gute und Gottes Segen.«
    »Und Mutter?«
    »Gut. Auch sie lässt dich herzlich grüßen und betet für dich.«
    Die Vettern staunten über Richards gutes Aussehen. Sein Mantel, seine Weste und seine Hosen mochten zerschlissen sein und stinken, aber sein Hemd, seine Socken und die Lappen, die er in die Fußfesseln gestopft hatte, waren sauber. Die Haare trug er
immer noch kurz, graue Haare hatte er keine. Seine Fingernägel waren gepflegt, sein Gesicht frisch rasiert und faltenlos. Nur sein abwesender, strenger Blick machte den Vettern ein wenig Angst.
    »Habt ihr inzwischen etwas von William Henry gehört?«
    »Überhaupt nichts, Richard.«
    »Dann ist das alles bedeutungslos.«
    »Aber nein, keineswegs!«, widersprach Vetter James, der Kirchenmann, energisch. »Wir haben dir einen Anwalt besorgt, leider nicht aus Bristol - Fremde sind bei den Bezirksgerichten nicht gern gesehen. Vetter Henry der Anwalt hat uns beauftragt, einen in Gloucester bekannten Kollegen ausfindig zu machen. Es werden zwei Richter anwesend sein, Sir James Eyre vom Königlichen Finanzgericht und Sir George Nares vom Königlichen Gerichtshof.«
    »Habt ihr Ceely Trevillian gesehen?«
    »Nein«, sagte Vetter James, der Apotheker, »aber ich hörte, dass er sich im besten Gasthaus der Stadt einquartiert hat. Wie mir erzählt wurde, sind die Gerichtstage für Gloucester ein großes Ereignis, das gebührend gefeiert wird, zumindest an dem Tag, an dem alle durch die Stadt zum Rathaus marschieren, das gleichzeitig das Gericht ist. Die zwei Richter wohnen in besonderen Unterkünften in der Nähe des Rathauses, doch die meisten der Gerichtsdiener, Barrister und Protokollführer steigen in Gasthäusern ab. Morgen tagt das Große Geschworenengericht, aber das ist lediglich eine alte Sitte. Dein Anwalt sagt, dass ihr alle drankommt.«
    »Wer ist mein Anwalt?«
    »James Hyde aus der Chancery Lane in London, ein Barrister, der mit den Richtern Eyre und Nares den Gerichtsbezirk Oxford bereist.«
    »Wann sucht er mich auf?«
    »Gar nicht, Richard. Seine Arbeit beschränkt sich auf den Gerichtssaal. Vergiss nicht, dass er deine Version der Geschichte nicht vortragen darf. Er hört sich die Aussagen der Zeugen an, in der Hoffnung, Schwachpunkte darin zu finden, die er im Kreuzverhör aufzeigen kann. Da er die Zeugen nicht kennt und nicht weiß, was sie sagen werden, hätte es keinen Sinn, dich aufzusuchen. Wir
haben ihm den Sachverhalt in allen Einzelheiten dargelegt. Er ist sehr erfahren und tüchtig.«
    »Was verlangt er?«
    »Zwanzig Guineen.«
    »Und ihr habt ihn bereits bezahlt?«
    »Ja.«
    Das Ganze ist eine Farce, dachte Richard, rang sich jedoch ein Lächeln ab und drückte den beiden Vettern freundschaftlich den Arm. »Ihr seid so gut zu mir. Ich kann euch gar nicht sagen, wie sehr ich euch für eure Hilfe danke.«
    »Du gehörst doch zur Familie, Richard«, sagte Vetter James, der Kirchenmann, etwas verwundert.
    »Ich habe dir einen neuen Anzug und ein neues Paar Schuhe mitgebracht«, verkündete James, der Apotheker. »Und eine Perücke. Du kannst nicht mit geschorenem Schädel vor Gericht erscheinen. Die Frauen - deine Mutter, Arm und Elizabeth - haben mir eine ganze Kiste voller Unterhosen, Hemden, Strümpfe und Lappen für dich mitgegeben.«
    Richard schwieg. Seine Familie schien mit dem Schlimmsten zu rechnen, auch wenn sie das Beste hoffte. Denn wenn er in zwei Tagen freigesprochen wurde, wozu brauchte er dann eine ganze Kiste mit neuen Sachen?
    Am folgenden Tag feierte Gloucester den Beginn der Gerichtstage. Beim Steineschleppen hörte Richard deutlich das Schmettern von Trompeten und Hörnern, Trommelwirbel, begeistertes Klatschen, die Musik eines Spielmannszuges und den sonoren Singsang von Stimmen, die in fließendem Latein Reden hielten. Ganz Gloucester war in Feststimmung.
    Die Stimmung im Gefängnis war gedrückt. Richard konnte den sechzehn anderen Angeklagten - die Zahl war wieder gestiegen - von den Gesichtern ablesen, dass sie einen

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