Insel der Versuchung
Aufsehen erregen wird. Nur wenige Leute wissen von Ihrer Gefangenschaft. Allgemein glaubt man, dass Sie die ganze Zeit auf Reisen in Übersee waren. Aber ich würde es begrüßen, wenn Sie Stillschweigen über unsere Beteiligung an Ihrer Befreiung bewahren würden.“
„Sie können sich auf mich verlassen“, versicherte Isabella ihm.
Sir Gawain hatte eine Kutsche besorgt, um die Damen zu Isabellas Anwesen im Süden der Insel zu bringen, und kurze Zeit später schon saßen die beiden in dem Landauer. Der Oktoberwind wehte stark, trotzdem hatte Isabella darauf bestanden, beide Verdecke aufzuklappen. Den größten Teil der Fahrt über die Insel saß sie still da und genoss die Aussicht, während sie an Olivenhainen, Weingärten und Bauernhöfen vorbeikamen.
„Ich habe nie gewusst, wie viel mir diese Insel bedeutet, bis ich sie fast verloren hätte“, sagte sie schließlich.
Caro verstand das gut. Sie liebte Kyrene von Herzen, aber anders als ihre Freundin hatte sie immer gewusst, dass sie hierher gehörte. Die Insel war ein Teil von ihr. Und sie vermutete, dass es fast so wäre, wie ein Körperteil zu verlieren, wenn sie irgendwo anders leben müsste.
Als sie durch die eisernen Tore ihres Besitzes fuhren und vor der großzügigen Hazienda anhielten, füllten sich Isabellas Augen mit Tränen. Ihr dritter Ehemann war ein wohlhabendes Mitglied des niedrigeren spanischen Adels gewesen und hatte ihr entgegen der Sitte und zum Missfallen seiner übrigen Verwandtschaft den weitläufigen Besitz in seinem Testament vermacht.
„Ich schwöre, ich werde es nie mehr für selbstverständlich nehmen“, erklärte sie mit einem Nachdruck, der keinen Zweifel an ihrer Aufrichtigkeit ließ.
Isabellas Wiedersehensfreude rührte Caro selbst fast zu Tränen. Es erinnerte sie wieder daran, wie wichtig Heim und Herd waren, was für ein kostbares Geschenk es war, unter Menschen zu sein, die einen liebten.
Doch dann schüttelte Isabella mit der für sie typischen Sprunghaftigkeit lachend ihre Melancholie ab und läutete nach ihrem Butler, erklärte, dass sie Kaffee genauso wie das Minzegetränk der Berber gründlich satt habe und sich nach einer Tasse anständigen britischen Tees sehne.
Sie bestellte außerdem Roastbeef zum Abendbrot - ein weiteres britisches Essen, das sie seit Monaten nicht mehr vorgesetzt bekommen hatte - und bat Caro, ihr Gesellschaft zu leisten.
„Natürlich werde ich hier bleiben, solange du mich brauchst“, antwortete Caro. „Soll ich heute Nacht auch hier schlafen?“ „Nein, Liebes. Mir wird es prächtig gehen, wenn ich mich erst einmal mit vertrauten Speisen gestärkt habe. Aber du musst mich morgen besuchen kommen, wenn du dich von Dr. Allenby losreißen kannst. Ich bin sicher, du brennst schon darauf, zu ihm und seinen Patienten zu gehen und dich in der Arbeit zu vergraben. Doch du musst mir versprechen, mich jeden Tag eine oder zwei Stunden lang zu besuchen, wenigstens die erste Zeit, bis ich wieder ganz die Alte bin. Nichts wird mir besser dabei helfen, als dich bei mir zu haben.“
Caro lächelte. „Versprochen, da ich dich für meine wichtigste Patientin halte.“
Es war schon spät, als Caro schließlich selbst nach Hause kam, und da erst überwältigte sie die Verzweiflung, die sie den Tag über von sich geschoben hatte. Obwohl sie einzuschlafen versuchte, drangen aufwühlende Erinnerungen an Max auf sie ein -Dutzende, die gnadenlos ineinander übergingen.
Der seelische Schmerz schien sie fast zu zerreißen. Er hatte noch nicht einmal die Insel verlassen, und schon vermisste sie ihn qualvoll.
Mit zugeschnürter Kehle vergrub Caro ihr Gesicht in den Kissen und versuchte, die Schluchzer zu unterdrücken. Sie konnte sich nicht gestatten, darüber nachzudenken, was hätte sein können. Sie und Max hatten keine gemeinsame Zukunft, und es nützte nichts, sich zu wünschen, dass es anders wäre.
Direkt nach dem Frühstück am nächsten Morgen fuhr sie zu Dr. Allenby. Nach nur einem Blick auf die dunklen Schatten unter ihren Augen und die geschwollenen roten Lider schickte er sie gleich ins Bett zurück.
„Das ist nicht nötig“, widersprach Caro. „Mir geht es ausgezeichnet.“
„So sehen Sie aber nicht aus, meine Liebe“, entgegnete Dr. Allenby. „Diese Mission hat Sie eindeutig mehr Kraft gekostet, als Sie zugeben wollen.“
„Es war schwierig, aber ich habe keinen Schaden genommen. Wenigstens keinen, den ausreichend Essen und Schlaf nicht kurieren können.“
Der Arzt schnaubte.
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