Insel der Versuchung
Weiblichkeit so angesprochen gefühlt. Drei Tage lang hatte sie nun versucht, die machtvolle Anziehung zu Major Leighton zu unterdrücken, ebenso wie ihre widerstreitenden Gefühle, die so untypisch für sie waren.
Am bestürzendsten war die Hitze und Eindringlichkeit in diesen Augen, wenn er sie ansah. Sein Blick weckte ein wildes Sehnen in ihrem Blut, das ihr den Atem nahm.
Caro versuchte, ihr inneres Gleichgewicht wiederherzustellen, indem sie sich auf das glitzernde Meer konzentrierte. Sie konnte das leise Flüstern der Wellen unter sich hören, die in sanftem, zeitlosem Rhythmus an die Küste schlugen.
„Schläft Yates immer noch ruhig?“ durchbrach sie das Schweigen.
„Ja, dem Himmel sei Dank“, antwortete der Major. „Zum ersten Mal seit ein paar Wochen hat er so etwas wie Frieden gefunden.“
Lieutenant John Yates hatte in Spanien während der bislang schlimmsten Schlacht gegen Napoleons Truppen ein Bein verloren, und die Wunde hatte nicht heilen wollen. Als er immer schwächer geworden und sein Fieber weiter gestiegen war, hatte er seinen kommandierenden Offizier angefleht, ihn auf seine Heimatinsel zu bringen, was dieser getan hatte. Auf der langen Reise jedoch hatte sich die Wunde entzündet.
Nicht willens, den Sterbenden im Stich zu lassen, war Major Leighton auf Kyrene geblieben, um auf das Ende seines Kameraden zu warten, das dann doch nicht gekommen war. Wundersamerweise hatte sich der Zustand des jungen Lieutenants heute gegen Morgen deutlich verbessert; sein Fieber war gesunken, und man durfte damit rechnen, dass er überleben würde.
„Ich bin Ihnen unermesslich dankbar“, murmelte der Major. „Sie haben Yates vorm Tod bewahrt.“
„Das war ich nicht allein“, wehrte Caro ab. „Dr. Allenby ist ein begnadeter Arzt. Ich habe nur geholfen.“
„Nein, Sie waren es, die Stunde um Stunde an Yates’ Seite ausgeharrt hat.“
Es stimmte zwar, sie hatte den Lieutenant stundenlang gepflegt, da der Arzt der Insel sich um weitere Patienten kümmern musste. Doch auch Major Leighton war zur Stelle gewesen - er hatte Wache gehalten und gehorsam und klaglos alle ihm übertragenen Aufgaben erledigt, wenn er nicht gerade unruhig auf und ab schritt. Er hatte den sich im Fieberwahn wehrenden Lieutenant festgehalten, damit ihm widerwärtig riechende Medizin eingeflößt oder kalte Umschläge auf seinen fiebrigen Körper gelegt werden konnten.
„Yates ist am Leben“, beharrte Leighton, „weil Sie sich geweigert haben, ihn sterben zu lassen. Es war Ihre schiere Willenskraft, die ihn gerettet hat.“
Caro konnte sich nicht erklären, warum sein Lob ihr so schmeichelte. „Nun, ich bin bekannt für meine Sturheit.“
Ihre Worte entlockten ihm ein flüchtiges Lächeln. Nie zuvor hatte sie ihn lächeln sehen. Dieser Anblick verzauberte sie und raubte ihr zugleich den Atem. Dennoch war es Leightons Sorge für seinen verwundeten Offizier gewesen und nicht seine kraftstrotzende Männlichkeit, die sie bei ihrer ersten Begegnung anziehend gefunden hatte.
In den endlosen, dunklen Stunden der Sorge waren sie sich näher gekommen. Sie waren nicht länger bloße Fremde, nachdem sie gemeinsam all diese Gefühle durchlebt hatten: Angst, Verzweiflung, Hoffnung und schließlich große Erleichterung. Weil sie zusammen den Kampf um Yates’ Leben gewannen, waren sie durch ein unsichtbares Band miteinander verknüpft. Leider würde Major Leighton aber morgen abreisen.
„Ich denke, Sie überschätzen mich“, erklärte Caro. „Glaubt man John, waren Sie es, der ihm das Leben gerettet hat, indem Sie den Säbelangriff abgewehrt haben.“
„Trotzdem wäre er niemals verwundet worden, wenn er sich nicht mitten in die angreifende Kavallerie gestürzt hätte, um mich zu schützen. Ich stehe tief in seiner Schuld - ebenso wie in Ihrer.“
Bei seinem inbrünstigen Tonfall wandte Caro den Kopf und sah, wie der Major sie nachdenklich musterte. Als sie den Blick seiner von dunklen Wimpern umrahmten Augen auffing, schoss eine unerwartete Hitzewelle durch ihren Körper, primitiv und unverkennbar sinnlich.
Caro schaute fort. Es war närrisch, so etwas zu empfinden. Sie bezweifelte, dass sie sonderlich anziehend auf diesen schönen Mann wirkte. Sie war zwar einigermaßen hübsch, aber sie vermutete, dass es ihr nach seinem Geschmack an Weiblichkeit mangele.
Daraus konnte sie ihm keinen Vorwurf machen. Junge Damen befassten sich nicht freiwillig mit Blut, Wunden und Sterbenden oder halfen dem Arzt der Insel bei
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