Insel der Versuchung
„Ich habe schon alles gehört. Sie haben sich fast umgebracht.“
„Was ist mit Ihnen?“ versuchte Caro das Thema zu wechseln. „Haben Sie sich ganz erholt?“
„Mehr oder weniger.“
„Sie sehen selber müde aus.“
„Mein einziges Problem ist, dass ich alt werde.“
Dem konnte Caro nichts entgegensetzen. Dr. Allenby mochte wieder gesund sein, aber er hatte nicht mehr die Lebenskraft, die er einmal besessen hatte. Er brauchte ihre Hilfe jetzt mehr denn je. „Nun, ich bin bereit, meine Pflichten als Ihre Assistentin wieder aufzunehmen. Ich bin fest entschlossen, Ihnen zu helfen, ob Sie es nun wollen oder nicht.“
„Wie Sie möchten“, erwiderte Allenby mürrisch. „Wenn Sie darauf bestehen, meinen Rat in den Wind zu schlagen, dann können Sie sich genauso gut nützlich machen.“
Von dem Augenblick an stürzte sich Caro in die Arbeit, beseelt von dem Wunsch, den Mann zu vergessen, der der Grund für ihre Schlaflosigkeit war.
Sie sah Isabella jeden Tag, denn sie wollte ihrer Freundin helfen, auch wenn die lebenslustige Witwe eigentlich keine Hilfe brauchte. Ihre Beliebtheit war nach der langen Abwesenheit größer als je zuvor, und sie wurde von der feinen Gesellschaft freudig begrüßt mit mehreren spontanen Abendveranstaltungen und Partys zu ihren Ehren.
Caro lehnte alle Einladungen ab, igelte sich ein, aus Angst, Max zu begegnen. Sie konnte es nicht ertragen, ihn wiederzusehen, denn das würde den Schmerz der Wunde nur verschlimmern, die der Bruch mit ihm ihr geschlagen hatte.
Aus demselben Grund mied sie ihre Freunde. Sie behandelte Ryder nicht länger, da ihm nun ein richtiger Arzt zur Verfügung stand. Und sie weigerte sich, Thorne zu sehen, da Max, soweit sie wusste, immer noch sein Gast war.
So bekam sie in den nächsten Wochen Max nicht zu Gesicht, und sie hörte auch nichts von ihm, obwohl sie jeden Tag mit der Nachricht rechnete, dass er nach England aufgebrochen sei.
Sie redete sich ein, dass sie seine Abreise nicht erwarten konnte, denn dann erst würde sie ihr altes Leben wieder aufnehmen können. Vielleicht würde sie sich dann langsam wieder besser fühlen. Denn allein jeden Morgen aufzustehen, erwies sich als erschöpfende Aufgabe, die sie nur mit übermenschlicher Willensanstrengung bewältigte.
Selbst die Schönheit der Insel hatte nicht länger die Kraft, sie zu beruhigen. Sie ging nicht zur Grotte, genauso wenig wie zu den römischen Ruinen und jedem anderen Ort, der sie zu sehr an Max erinnerte, Sir Gawains Burg eingeschlossen.
Eines Tages stattete ihr daher John Yates einen Besuch ab, um über die Newhams zu berichten. Er schien sich von seinem Herzschmerz erholt zu haben, stellte Caro erfreut fest.
„Ich kann nicht glauben, was für ein verblendeter Narr ich war, dass ich so leicht hereingelegt werden konnte“, erklärte John mit einem reuigen Lächeln. „Vermutlich war ich einfach für ein schönes Gesicht empfänglich. Aber ich bin entschlossen, den Engländer zu entlarven, der Darnelle beauftragt hat, herauszufinden, wer Mitglied bei den Wächtern ist. Und jetzt, da Lady Isabella sicher zurückgekehrt ist, haben wir genug Agenten, die sich der Untersuchung des Falles annehmen können. Sir Gawain hat beschlossen, die Newhams in Kürze freizulassen, aber natürlich wird man ihnen folgen, um zu sehen, wohin sie sich wenden.“
Caro war froh, dass hauptsächlich Johns Stolz getroffen war, aber es fiel ihr schwer, Interesse für die Newhams oder ihre Pläne aufzubringen.
Wenn Dr. Allenby ihre Dienste nicht benötigte, hatte sie viel zu viel Zeit, weshalb sie mit der alten Stute langsame Spaziergänge über die Insel unternahm oder zu den felsigen Hügeln im Norden, wo mit Farnkraut überwucherte Wacholderbüsche, Lorbeer- und Myrtesträucher wuchsen. Zu dieser Jahreszeit war die Landschaft farbenprächtig und duftete schwer, und die Erdbeerbäume, die im Herbst statt im Frühjahr blühten, fügten dem bunten Bild weitere leuchtende Farbtupfer hinzu.
Oft, wenn sie heimkehrte, ertappte sich Caro dabei, dass sie länger als nötig im Stall verweilte. Die Stute war das einzige Lebewesen, dem sie ihre Geheimnisse unbesorgt anvertrauen konnte - und fast schien es, als hörte das Tier ihr tatsächlich mitfühlend und ohne sie zu verurteilen zu.
Meistens zählte Caro in halb lauten Selbstgesprächen immer wieder alle Gründe auf, warum es richtig von ihr gewesen war, Max’ Heiratsantrag abzulehnen.
„Ich wäre ihm eine schreckliche Ehefrau“, erklärte sie, während
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