Insel des Sturms
Männer. Es heißt, einer von ihnen wäre ein Gallagher gewesen, der als Sänger hierher kam, und einen Teil dessen, was ich Ihnen erzählen werde, mit eigenen Augen gesehen, den Rest von den
Lippen Carricks, des Feenprinzen, gehört und dann die Geschichte allen interessierten Zuhörern selbst vorgetragen hat.«
Er machte eine Pause, bemerkte das halb belustigte Interesse in Judes Blick und fing mit leiser Stimme an. »Es war einmal ein junges Mädchen namens Gwen. Sie war von bescheidener Herkunft, aber in ihrem Herzen und von ihrem Gebaren her ein edles Fräulein. Sie hatte Haare so hell wie das Sonnenlicht im Winter und Augen grün wie Moos. Ihre Schönheit war im ganzen Land bekannt, und trotz ihrer stolzen Haltung und ihrer schlanken, liebreizenden Gestalt führte sie, da ihre liebe Mutter bei ihrer Geburt gestorben war, ihrem ältlichen Vater umsichtig den Haushalt. Sie tat alles, worum er sie bat, und nie kam ein Wort der Klage über ihre Lippen. Obgleich sie hin und wieder beobachtet wurde, wie sie abends auf den Klippen spazieren ging und über das Meer blickte, als wünschte sie sich Flügel zum Davonfliegen …«
Während Aidan sprach, stahl sich trotz des anhaltenden Regens ein stummer Sonnenstrahl durchs Fenster und ruhte zwischen ihnen auf dem Tisch.
»Ich kann nicht sagen, was sie bewegte«, fuhr er verhalten fort. »Vielleicht war es etwas, was sie selbst nicht wusste. Aber sie hielt weiter das Cottage in Ordnung, kümmerte sich liebevoll um ihren Vater und ging abends alleine zu den Klippen. Eines Tages, als sie Blumen zum Grab ihrer Mutter brachte, die in der Nähe des Brunnens von Saint Declan bestattet worden war, traf sie einen Mann – oder ein Wesen, von dem sie meinte, es wäre einer. Er war groß und schlank, mit dunklem, auf die Schultern wogendem Haar und Augen so blau wie die Glockenblumen, die sie trug. Als er sie bei ihrem Namen rief, hallte seine Stimme wie Musik in ihren Ohren und brachte ihr Herz zum Tanzen. Und wie vom Blitz wurden sie beide über dem Grab der Mutter, während die
Brise wie Feengeflüster durch das hohe Gras wogte, von der Liebe getroffen.«
»Liebe auf den ersten Blick! Das ist etwas, was man oft in Märchen findet.«
»Glauben Sie nicht daran, dass zwei Herzen einander tatsächlich erkennen können?«
Eine seltsame, poetische Umschreibung, dachte Jude und war froh, dass der Recorder lief. »Ich glaube an gegenseitige Anziehung auf den ersten Blick. Wahre Liebe braucht ganz sicher mehr.«
»Die Irin hat man Ihnen leider gründlich ausgetrieben.« Betrübt schüttelte er den Kopf.
»Nicht etwa, dass ich nicht die Romantik einer guten Geschichte zu schätzen wüsste.« Sie bedachte ihn mit einem Lächeln, wodurch ein Hauch von ihren Grübchen sichtbar wurde. »Und was passierte dann?«
»Nun, obgleich ihre Herzen den Gleichklang entdeckten, ging es nicht einfach darum, dass ein junges Mädchen und ein junger Mann einander bei den Händen nahmen und den Bund fürs Leben schlossen – denn er war Carrick, der Prinz der Feen, der in dem Silberpalast unter dem Hügel lebte, auf dem ihr kleines Cottage stand. Sie fürchtete sich vor einem bösen Zauber und zweifelte sowohl an seiner Ehrlichkeit als auch an dem, was sie empfand. Und je stärker das Sehnen ihres Herzens wurde, umso stärker wuchsen ihre Zweifel; denn man hatte sie gelehrt, vor den Feen und den Schlössern, in denen sie lebten, auf der Hut zu sein.«
Unter dem Klang seiner Stimme, die sich bei seinen Worten hob und senkte wie perlende Musik, stützte Jude die Ellbogen auf die Tischplatte und legte ihr Kinn in ihre Fäuste.
»Trotzdem lockte Carrick Gwen nachts bei Vollmond aus der Hütte auf sein großes, geflügeltes Pferd, um mit ihr über das Land und das Meer zu fliegen und ihr die Wunder zu zeigen, die er ihr schenken würde, wenn sie ihn nur endlich erhörte.
Er hatte sein Herz an sie verloren und würde ihr alles überlassen, was er an Reichtümern besaß.
Zufällig jedoch sah ihr Vater, der mit schmerzenden Knochen wach geworden war, wie seine junge Gwen auf dem weißen, geflügelten Pferd im Arm des Feenprinzen vom Himmel heruntergeschossen kam. In seiner Angst und seinem Mangel an Verständnis dachte er einzig daran, sie vor dem bösen Zauber zu bewahren, unter dem sie, wie er dachte, stand. Also verbot er ihr, Carrick je wieder zu sehen, und zur Garantie für ihre zukünftige Sicherheit verlobte er sie mit einem braven jungen Mann, der seinen Lebensunterhalt als Fischer verdiente.
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