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Insel des Sturms

Insel des Sturms

Titel: Insel des Sturms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberts Nora
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hatte.
    Die Frau hinter dem Fenster. Lady Gwen.
    Ihren ganz privaten Geist.
    Sie konnte es zweifellos nicht leugnen, dass sie die Gestalt inzwischen schon zweimal mit eigenen Augen gesehen hatte. Und zwar derart deutlich, dass ein Irrtum ausgeschlossen war. So deutlich, dass sie das Gesicht, das sie vom Fenster aus beobachtet zu haben schien, trotz ihres relativ bescheidenen künstlerischen Talents fast aufzeichnen könnte.
    Geister. Sie waren nichts, woran zu glauben man ihr beigebracht hatte, obgleich ein Teil von ihr die Märchen ihrer Großmutter immer geliebt hatte. Aber wenn sie nicht neuerdings an Halluzinationen litt, hatte sie tatsächlich zweimal einen echten Geist gesehen.
    Könnte es sein, dass sie, ohne es zu merken, doch den Nervenzusammenbruch erlitten hatte, vor dem ihre Reise sie bewahren sollte?
    Aber sie fühlte sich wesentlich besser als in Chicago. Sie hatte weder Spannungskopfschmerzen noch einen Stein im Magen, noch empfand sie das bleierne Gewicht einer aufziehenden Depression.
    All diese Symptome hatten sich gelegt, als sie zum ersten
Mal über die Schwelle des Cottages auf dem Faerie Hill getreten war.
    Sie fühlte sich … gut, fasste sie nach kurzem Überlegen zusammen. Wach, ruhig, gesund. Ja, in gewisser Weise sogar glücklich.
    Also, dachte sie, hatte sie entweder einen Geist gesehen, was hieß, dass es derartige Wesen gab und sie ihre bisherige Gedankenwelt dementsprechend umzuformen hatte …
    Oder sie hatte also diesen Zusammenbruch gehabt, dessen überraschendes Ergebnis allerdings eine lange nicht erlebte Zufriedenheit mit sich und ihrem Leben war.
    Gedankenverloren nagte sie an einem Keks und entschloss sich, es mit beiden Situationen aufzunehmen.
    Als es an der Haustür klopfte, strich sie eilig die Plätzchenkrümel von ihrem Pullover und blickte auf die Uhr. Sie hatte keine Ahnung, wo der Vormittag geblieben war, und Aidans anstehenden Besuch hatte sie bewusst aus ihren Überlegungen verdrängt.
    Offenbar war er jetzt da. Fein. Sie würden in der Küche arbeiten, beschloss sie, schob sich ein paar Nadeln in die Haare und ging durch den kurzen Flur zur Tür. Trotz ihrer anfänglichen, nun, rein chemischen Reaktion auf seinen Anblick war ihr Interesse an dem Mann absolut beruflicher Natur. Ein Kerl, der sich auf der Straße mit Betrunkenen prügelte und auf eine empörend unverhohlene Weise mit fremden Frauen flirtete, zog sie ganz bestimmt nicht an.
    Sie war eine zivilisierte, durch und durch moderne Frau, die daran glaubte, dass man Konflikte durch Vernunft, Diplomatie und Kompromisse löste – statt durch rohe Gewalt und den Einsatz seiner Fäuste. Einen Menschen, der das anders sah, konnte sie wirklich nur bedauern.
    Selbst wenn dieser Mensch ein wunderschönes Gesicht und Muskeln hatte, die, wenn er sie benutzte, ein geradezu geschmeidiges Spiel darboten.

    Eine vernünftige Person ließ sich von der rein körperlichen Attraktivität eines Menschen nicht blenden!
    Sie würde seine Geschichten protokollieren, ihm für seine Hilfsbereitschaft danken, und das wäre alles.
    Dann öffnete sie. Sein Haar glitzerte weich im Regen, sein Lächeln war so warm und behaglich wie der Sommer, und sie fühlte sich so vernünftig wie ein junges Hündchen, das sich freute, wenn sein Herrchen von der Arbeit kam.
    »Guten Tag, Jude!«
    »Hallo!« Es war Zeugnis seiner verheerenden Wirkung auf ihr Hirn, dass sie volle zehn Sekunden brauchte, bis sie den Hünen neben ihm entdeckte, der unbeholfen einen Strauß Blumen in seinen Riesenpranken hielt. Mit dem vom Rand seiner durchtränkten Kappe rinnenden Regen, dem kreidebleichen Gesicht und den hängenden Schultern sah er zum Weinen elend aus.
    Als Aidan ihm den Ellbogen zwischen die Rippen rammte, stieß er einen abgrundtiefen Seufzer aus.
    »Ah, guten Tag, Miss Murray! Ich bin Jack Brennan. Aidan sagt, ich hätte mich gestern Abend in Ihrer Gegenwart nicht besonders gut genommen. Das tut mir Leid, und hoffentlich verzeihen Sie mir.«
    Er streckte ihr den Strauß entgegen und bedachte sie mit einem jämmerlichen Blick aus seinen roten Augen. »Ich hatte etwas zu viel getrunken«, fuhr er verlegen fort. »Aber das ist keine Entschuldigung dafür, in Gegenwart einer Dame zu fluchen – obwohl ich gar nicht wusste, dass Sie da waren, nicht wahr?« Hilfe suchend und zugleich ein wenig trotzig schaute er auf Aidan.
    »Nein.« Obgleich die nassen Blumen so erbarmungswürdig waren, dass ihr Herz bei ihrem Anblick schmolz, verlieh sie ihrer Stimme

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