Insel des Sturms
Tränen des Mondes‹, erklärte Carrick ihr. ›Sie sind das Zeichen meiner Sehnsucht nach dir. Nimm sie und mich, denn ich werde dir alles geben, was ich habe, und
noch mehr.‹ Wieder schlug sie ihm, wenn auch mit Tränen in den Augen, seine Bitte ab. Denn sie gehörte einem anderen, trug dessen Kind unter dem Herzen und würde ihren Treueschwur nicht brechen. Wieder einmal wurden sie durch ihr Pflichtgefühl und seinen Stolz getrennt – dieses Mal blieben die Perlen auf dem Boden liegen und wurden zu Mondblumen.«
»So zogen die Jahre ins Land, während derer Carrick trauerte und Lady Gwen tat, was man von ihr erwartete. Sie gebar ihre Kinder und erfreute sich an ihnen. Sie pflegte ihre Blumen und dachte an die Liebe, die ihr einst begegnet war. Denn obgleich ihr Gatte ein braver Mann war, ließ sie ihn niemals in die innerste Kammer ihres Herzens. Und während ihr Gesicht und ihr Körper alt wurden, blieb sie, erfüllt von den wehmütigen Wünschen eines Mädchens, in ihrem Herzen jung.«
»Das ist traurig.«
»Allerdings, doch das ist immer noch nicht das Ende. Da die Zeit für Feen etwas anderes bedeutet als für uns Sterbliche, stieg der immer noch junge Carrick eines Tages erneut auf sein geflügeltes Ross, flog über das Meer, tauchte auf der Suche nach seinem Herzen tief, tief darin unter, ließ seinen Puls in seine Silbertasche fließen und verwandelte ihn dort in eine Unzahl leuchtender Saphire. Diese nahm er mit zu Lady Gwen, deren Kinder inzwischen eigene Kinder hatten, deren Haar schlohweiß und deren Augenlicht ein wenig trüb geworden war. Aber alles, was der Prinz der Feen in ihr sah, war das Mädchen, das er liebte und nach dem er sich verzehrte. Also schüttete er vor ihren Füßen die Saphire aus. ›Sie sind das Herz der See. Sie sind das Zeichen meiner beständigen Ergebenheit. Nimm sie und mich, denn ich werde dir alles geben, was ich habe, und noch mehr.‹«
»Und dieses Mal erkannte sie mit der Weisheit des Alters, was daraus geworden war, indem sie ihre Liebe aus Pflichtgefühl
verraten hatte. Indem sie ihrem Herzen nicht vertraut hatte. Und was daraus geworden war, dass er ihr Juwelen bot, ohne ihr je das eine zu geben, womit er sie vielleicht doch gewonnen hätte.«
Erneut griff Aidan nach Judes Hand, und mit einem Mal kehrte der schmale Sonnenstrahl auf die Tischplatte zurück.
»Niemals hatte er von seiner Liebe zu ihr gesprochen – von Leidenschaft, von Sehnsucht, sogar von Beständigkeit, ja – aber Liebe, Liebe wäre das Zauberwort gewesen. Doch inzwischen war sie eine alte, krummbucklige Frau, für die, anders als für den unsterblichen Feenprinz, die Erkenntnis zu spät kam. Sie vergoss die bitteren Tränen einer alten Frau und erklärte ihm, ihr Leben wäre bald vorbei. Und sie sagte, hätte er ihr Liebe gebracht statt Juwelen, hätte er von Liebe gesprochen statt von Leidenschaft, Verlangen und Beständigkeit, dann hätte ihr Herz über ihr Pflichtgefühl gesiegt. Er wäre einfach zu stolz gewesen, erklärte sie ihm, und sie selbst zu blind, um zu sehen, was sie sich im tiefsten Inneren ihres Herzens seit ihrer ersten Begegnung gewünscht hatte.
Ihre Worte machten ihn zornig, denn er hatte ihr ein ums andere Mal Liebe gebracht, was er halt darunter verstand. Und dieses Mal belegte er sie, ehe er sich abwandte, mit einem bösen Bann. Ebenso wie er bisher, würde nun sie Jahr um Jahr über die Klippen wandern und einsam warten, bis zwei ehrliche Herzen einander begegneten und die Geschenke annahmen, die er ihr vergeblich zu Füßen gelegt hatte. Sie bekämen die dreifache Gelegenheit, einander zu erkennen und einander anzunehmen, und erst wenn das geschähe, würde der Bann gebrochen sein. Dann stieg er wieder auf sein Pferd, flog in die Nacht, und wieder wurden die Juwelen zu ihren Füßen zu leuchtenden Blumen. Sie aber starb in jener Nacht, und auf ihrem Grab erhoben sich Jahr für Jahr dieselben Knospen, während ihr Geist, lieblich wie
der von der jungen Lady Gwen, über die Klippen wandert, wartet und um die verlorene Liebe weint.«
Beinahe hätte Jude ebenfalls geweint. »Warum hat er sie nicht einfach mitgenommen und gesagt, jetzt wäre alles gut?«
»Es ist nun mal nicht geschehen. Und finden Sie nicht auch, Jude Frances, dass die Moral der Geschichte darin besteht, dass man seinem Herzen trauen und niemals wahre Liebe leugnen soll?«
Sie merkte, dass sie viel zu gefangen gewesen war in der Geschichte und entzog ihm beinahe rüde ihre Hand. »Entweder das
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