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Insel des Sturms

Insel des Sturms

Titel: Insel des Sturms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberts Nora
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zwischen dem Herd und seinem Körper gefangen hielt, wie er sie gekostet hatte, als wäre sie eine Delikatesse. Nichts darüber, wie sie sich gefühlt oder was sie gedacht hatte. Allmächtiger! Allein bei der Erinnerung an das Erlebnis vollführte ihr Magen einen Satz.
    Schließlich war es ein Teil ihrer hiesigen Erfahrungen, und das Tagebuch sollte Zeugnis ablegen von all ihren Erfahrungen, Gedanken und Gefühlen während ihrer Zeit in Irland.
    Aber sie wollte ihr Innenleben gar nicht kennen, erinnerte sie sich. Jedes Mal, wenn sie versuchte, in rationaler Weise darüber nachzudenken, gewannen Gefühle die Oberhand und verwandelten ihr Hirn in Brei.
    »Außerdem ist es vollkommen unwichtig«, sagte sie sich laut.
    Seufzend ließ sie ihre Schultern kreisen und legte die Finger wieder auf die Tastatur.
     
    Interessanterweise stimmte die Version der Geschichte von Lady Gwen, die meine Großmutter mir erzählt hat, beinahe bis aufs letzte Wort mit der von Aidan überein. Die Art der Erzählung wurde durch die Erzählerin bzw. den Erzähler definiert, aber die Charaktere, die Details, der Ton der Geschichte waren beinahe identisch.
    Dies ist ein klarer Fall von ungebrochener und gelungener mündlicher Überlieferung, was die Iren als ein Volk auszeichnet, das diese Kunst genügend respektiert, um sie so rein wie möglich zu erhalten. Außerdem zeigt es mir auf psychologischer Ebene, wie eine Geschichte zur Legende und diese wiederum scheinbar zur Wahrheit wird. Ein Mensch hört immer wieder dieselbe Geschichte, im selben Rhythmus,
im selben Ton, und schließlich beginnt er, sie zu akzeptieren wie einen Tatsachenbericht.
    Ich träume von ihnen.
     
    Wieder hielt Jude inne und starrte auf den Bildschirm. Sie hatte nicht die Absicht gehabt, diesen Satz zu tippen. Der Gedanke war ihr einfach in den Sinn gekommen und von dort durch ihre Finger auf das Keyboard geglitten. Aber es stimmte, oder etwa nicht? Sie träumte beinahe allnächtlich von den beiden – von dem Prinzen auf dem weißen, geflügelten Pferd, der eine bemerkenswerte Ähnlichkeit besaß mit dem Mann, dem sie über Maudes Grab begegnet war, sowie von der ernst blickenden Frau, deren Gesicht demjenigen so stark ähnelte, das sie hinter dem Schlafzimmerfenster des Cottages zu sehen gemeint hatte – nein, das sie wirklich gesehen hatte.
    Kein Wunder, dass ihr Unterbewusstsein den beiden diese Gesichter verlieh. Das war vollkommen normal. Und da sich die Geschichte in dem Cottage zugetragen haben sollte, in dem sie augenblicklich lebte, war es ebenso normal, dass ihre Träume wilde Blüten produzierten.
    Es war also weder überraschend noch Besorgnis erregend, hielt sie sich vor Augen.
    Trotzdem kam sie zu dem Schluss, dass sie nicht in der Stimmung für Tagebucheinträge oder ernste Forschung war, und stellte den Computer ab. Seit Sonntag hatte sie das Cottage nicht verlassen – um zu arbeiten, wie sie sich sagte, nicht, um jemandem auszuweichen. Und obgleich die Arbeit sie mit einer gewissen Befriedigung erfüllte, ja, sie sogar belebte, war es höchste Zeit, mal wieder aus dem Haus zu gehen.
    Sie könnte nach Waterford fahren und ein paar Lebensmittel sowie die von ihr gesuchten Gartenbücher kaufen. Oder sie erforschte die weitere Umgebung, statt immer nur
über die Hügel und Felder in der Nähe des Cottages zu streifen. Und je häufiger sie am Steuer säße, umso vertrauter würde sie auf Dauer mit dem hiesigen Verkehr.
    Einsamkeit, erinnerte sie sich, war Balsam für die Seele. Doch sie konnte auch erdrücken – und einen vergesslich werden lassen. Hatte sie nicht heute Morgen extra auf den Kalender blicken müssen, um herauszufinden, ob Mittwoch oder schon Donnerstag war?
    Raus mit dir, sagte sie sich und machte sich auf die Suche nach Handtasche und Schlüsseln. Erforsch das Land, geh einkaufen, triff irgendwelche Leute. Mach Fotos, fügte sie hinzu und stopfte die Kamera in ihre Tasche. Dann könnte sie dem nächsten Brief an ihre Großmutter ein paar Bilder beifügen.
    Vielleicht würde sie sich sogar ein nettes Mittagessen irgendwo genehmigen.
    Doch in dem Augenblick, in dem sie vor die Tür trat, wurde ihr klar, dass sie lieber bliebe: hier in dem hinreißenden Garten mit dem wunderbaren Blick auf grüne Felder, schattenverhangene Berge, wilde Klippen und das Meer.
    Was machte es schon aus, wenn sie nur schnell eine halbe Stunde Unkraut zupfte, ehe sie aufbrach? Okay, sie war nicht gerade passend gekleidet für eine derartige Tätigkeit, doch

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