Insel meiner Sehnsucht Roman
ihnen zumute, den Zugereisten und den Einheimischen, wenn sie wüssten, welche Gefahren ihrem befestigten Königreich drohten?
Doch sie ließ sich ihre Sorge nicht anmerken. »Jetzt, wo Sie wieder gesund sind – wollen wir zusammen London besichtigen?«, schlug sie vor. »Da gibt es so vieles, was ich sehen möchte. Und Elena würde mir sicher verbieten, Joanna ins Schlepptau zu nehmen.«
»Ganz egal, was ich davon halte – Kyril Alexandros würde es niemals billigen«, betonte die Heilkundige. Offensichtlich versuchte sie, mit Alex akoranischem Titel seine Autorität zu unterstreichen. »Obwohl Lady Joanna kerngesund ist, muss sie sich schonen.«
»Insbesondere, wenn ich weiterhin am gesellschaftlichen Leben teilnehmen will«, ergänzte Joanna. »Erinnerst du dich, Kassandra? Am Dienstag werden wir im Spinnennetz erwartet.«
»Du musst Lady Melbourne nicht besuchen. Auf dieser Dinnerparty werde ich mich auch ohne deinen Beistand zurechtfinden.«
»Davon bin ich überzeugt. Aber die Frau fasziniert mich. Wenn du sie siehst, wirst du verstehen, warum.« Joanna lächelte tapfer. »In der Zwischenzeit kannst du mit Brianna die Stadt erforschen. Amüsiert euch, und kümmert euch nicht um meine Wenigkeit. Ich fühle mich großartig.«
»Kein Wunder, solange ein fürsorglicher Ehemann um dich herumtanzt«, neckte Kassandra ihre Schwägerin, der diese Aussicht sichtlich gefiel.
Als sie das Zimmer verließ, rief Joanna ihr nach: »Wenn du ins Gunter's gehst, bring mir Himbeerbonbons mit! Oh, und diese himmlischen Orangengelee-Scheiben! Die darfst du nicht vergessen!«
Und die Honigdrops und Buttertoffees, die Nougatwürfel und Pastillen, den türkischen Honig und die Sahne-karamellen, die während der nächsten Tage auf Joannas Bett hinabregneten … Darüber freute sie sich, aber sie aß nicht allzu viele Süßigkeiten, denn sie hatte die letzte Phase ihrer Schwangerschaft erreicht. Und sie würde nur mehr ein einziges Mal aufstehen, um die Spinne zu besuchen.
» Magnifique! « , jubelte Madame Duprès. Dann fügte sie in bedeutsamem Ton hinzu: »Vor allem, wenn man bedenkt, unter welch widrigen Umständen das Kleid vollendet wurde.«
»Für mich war's gar nicht so widrig, weil Sarah mich bei den Anproben vertreten hat«, bemerkte Kassandra fröhlich, während sie sich vor dem Spiegel hin und her drehte.
Die neue Robe war ebenso schön wie das Kleid, das sie im Carlton House getragen hatte, entsprach jedoch einem ganz anderen Stil. Von der hohen Taille fielen Seidenfalten in der Farbe eines Frühlingswalds hinab. Perlenstickereien schmückten den Saum, die Puffärmel und das Oberteil. Wenn sie sich bewegte, schwang der Rock umher, als würde ihn eine sanfte Brise bewegen. Verglichen mit den Toiletten, die sie in der Residenz des Prinzregenten gesehen hatte, wirkte das Kleid eher schlicht, aber sehr feminin. Mochte die Schneiderin auch ziemlich von sich eingenommen sein – das war ihr gutes Recht.
»Zweifellos hat Sarah eine wahre Engelsgeduld bewiesen.« Nicht zuletzt, weil sie ein Kleid für sich selbst verdient hat, ergänzte Kassandra in Gedanken.
»Es wäre trotzdem besser gewesen, Hoheit hätten sich den Anproben selbst unterzogen. Nun kann ich unmöglich die Verantwortung übernehmen …«
»… aber mein Lob akzeptieren, nicht wahr? Das Kleid ist exquisit! Genauso wie in meinen kühnsten Träumen! Madame, Sie haben sich selbst übertroffen.«
Besänftigt und hochzufrieden verließ die Schneiderin das Haus. Kassandra seufzte erleichtert und ergriff das Limonadenglas, das ihr die Schwägerin eingeschenkt hatte.
»Für Anfang Mai ist es ziemlich warm, nicht wahr?«, meinte Joanna und fächelte sich Kühlung zu. Sie saßen im Schlafzimmer. Durch die offenen Fenster wehte frische Luft herein, hohe Bäume spendeten angenehmen Schatten. Von der Straße jenseits der Gartenmauer drangen nur wenige Geräusche herein. Sogar das geschäftige London schien zu faulenzen, wenn die Temperatur stieg.
»In Akora würde man das nicht so empfinden. Aber die Engländer sind wahrscheinlich nicht an solche Frühlingstage gewöhnt. Geht es dir gut?«
»Ganz ausgezeichnet. Und wenn du deinem liebem Bruder etwas anderes erzählst, drehe ich dir eigenhändig den schönen Hals um.«
»Fällt er dir wirklich dermaßen auf die Nerven?«
»Nicht einmal blinzeln darf ich, ohne dass er glaubt, die Wehen hätten begonnen.«
»Er meint es nur gut.«
»Mit dieser übertriebenen Fürsorge wird er mich noch in den Wahnsinn
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