Insel meiner Sehnsucht Roman
treiben. Glücklicherweise liebe ich ihn bis zur Selbstverleugnung. Bitte, erinnere mich in den nächsten Tagen möglichst oft daran.«
»Gewiss, ich werde es regelmäßig erwähnen«, versprach Kassandra feierlich. »Bist du immer noch fest entschlossen, die Soiree zu besuchen?«
»Nur die Ankunft des Babys würde mich davon abbringen.«
Da Joanna kurz vor der Niederkunft stand, rechnete Kassandra durchaus mit der Möglichkeit, die Pläne für diesen Abend könnten sich ändern, ehe sie im Landauer sitzen und zum Melbourne House fahren würden.
Eine halbe Stunde vor ihrem Aufbruch erschien Royce, das Gesicht von der Sonne gerötet. Weil er von Hawkforte aus hierher gesegelt war, roch er nach salziger Meeresluft. Kassandra verdrängte den Neid, den seine Schiffsreise geweckt hatte, ignorierte ihre beschleunigten Herzschläge und konzentrierte sich auf die bevorstehenden Party. Zu ihrem Leidwesen fiel ihr das schwer, weil sich immer wieder ihre Knie streiften, während sie einander in der schwankenden Kutsche gegenübersaßen. Und weil er jedes Mal lächelte, wenn sie der Berührung auszuweichen suchte.
Das Melbourne House lag in der Nähe des St. James Park, und Kassandra vermutete, von den oberen Etagen aus würde man die Schwäne über den See gleiten sehen. An einem der letzten Tage war sie an der Residenz vorbeigegangen und hatte die imposante Fassade bewundert. Jetzt weckte die Innenausstattung ihre Neugier.
Rings um die runde Halle reihten sich mehrere Empfangsräume aneinander – mit hohen Stuckdecken, reich vergoldet und voller Menschen. Steile Stufen führten nach oben, die Kassandra etwas seltsam fand. Aber sie passten wohl zum Stil des Gebäudes, und die Melbournes hatten sich offenbar an die körperliche Anstrengung gewöhnt. Sonst wären sie durch eine andere Treppe ersetzt worden. Oder die jüngeren Familienmitglieder wussten eine Kletterpartie zu schätzen, während die über 60 -jährige Hausherrin wahr scheinlich den Komfort der Salons im Erdgeschoss vorzog.
An diesem Abend hielt sie im größten, besonders extravagant eingerichteten Empfangsraum Hof. Ihr Gesicht zeigte die Spuren einstiger Schönheit, die ihr schon seit Jahrzehnten die Position einer renommierten Gastgeberin eintrug und mächtige Männer ihres Alters nach wie vor in ihre Nähe lockte. Aber es war die hellwache Intelligenz ihres Blicks, die Kassandra beeindruckte. So viel hatte sie über Elizabeth Milbanke, Lady Melbourne, gehört – nicht zuletzt den schrecklichen Spitznamen – , so dass sie sich auf die Begegnung mit einer Xanthippe vorbereitete. Doch Joanna hatte sie vor dem entwaffnenden Charme der Spinne gewarnt.
»Oh, meine liebe Prinzessin Kassandra!«, rief Lady Melbourne. Wie ein strahlendes Lächeln verriet, besaß sie immer noch ihre eigenen Zähne, die sie offensichtlich sorgsam pflegte. »Welch eine Freude, Sie kennen zu lernen!« Trotz ihres Alters erhob sie sich und begann zu knicksen.
»Nein, bitte!«, protestierte Kassandra hastig. »Es wäre mir lieber, wir würden von diesem Zeremoniell absehen. Immerhin statte ich Ihrem Land nur einen privaten Besuch ab.«
»Sehr vernünftig, meine Liebe«, lobte Lady Melbourne und nahm wieder Platz. »Auch ich verzichte sehr gern auf solche Förmlichkeiten.« Einladend klopfte sie neben sich auf das Sofa. »Ich konnte es kaum erwarten, Ihre Bekanntschaft zu machen. Seit Ihrer Ankunft haben Sie sich kaum in unseren Kreisen blicken lassen.« Ihre Stimme nahm einen schelmischen Klang an. Zweifelsohne hatte sie erfahren, dass Kassandra im Carlton House gewesen war, und sich über alle Einzelheiten informieren lassen – das Kleid der akoranischen Prinzessin, die Gesprächspartner und – themen, wie lange sie geblieben und was nach ihrem Abschied gemunkelt worden war.
Kassandra beschloss, ihr ironisches Lächeln nicht zu unterdrücken. Zu ihrer eigenen Verblüffung amüsierte sie sich. »Ah, wie Sie sicher wissen, ist Lady Joanna, meine Schwägerin, guter Hoffnung«, erwiderte sie und sank auf das Sofa. »Deshalb bin ich nach England gekommen, und ich fürchte, meine Anwesenheit wird sie dazu verleiten, ihre Kräfte übermäßig zu strapazieren.«
»Das verstehe ich.« Forschend schaute Lady Melbourne zu Joanna hinüber, die klugerweise in sicherer Entfernung saß und mit Royce plauderte.
Auch Alex hielt sich, stets wachsam, in der Nähe seiner Frau auf, nachdem er die Gastgeberin nicht allzu herzlich begrüßt hatte.
»Lady Joanna ist so – pflichtbewusst«,
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