Insel meiner Sehnsucht Roman
die Seite ihrer Schwägerin. »Natürlich nur, bis sie die Kräfte verlassen. Aber wenn es so weit ist, wirst du's sicher merken, Joanna. Wie fühlst du dich?«
Seufzend schnitt die werdende Mutter eine Grimasse. »So, als müsste ich ein riesengroßes Ei legen.«
»Eine treffende Schilderung der Ereignisse«, meinte Elena, die in diesem Moment ihr Medizinkästchen ins Zimmer trug. Brianna und Mrs. Mulridge folgten ihr auf den Fersen. Über einem Arm der Haushälterin hingen mehrere frisch gewaschene Leinentücher.
»Kann man denn gar nichts tun?« Alex fuhr mit allen Fingern durch sein ohnehin schon zerzaustes, dichtes schwarzes Haar. Flehend schaute er von einer Frau zur anderen.
»Nun, am besten warten wir, bis die Natur ihren Lauf nimmt«, erwiderte Elena. »Und bei allem Respekt, Kyril – in der Zwischenzeit sollten Sie tun, womit Sie am frühen Morgen normalerweise beschäftigt sind. Aber entfernen Sie sich bitte nicht allzu weit vom Haus. Ich lasse Sie benachrichtigen, sobald Sie Ihre Gemahlin aufsuchen können.«
»Ja, Alex, geh!«, drängte ihn Joanna, bevor er zu Wort kam. »In den nächsten Stunden wird nichts passieren, so gern ich die Dinge auch beschleunigen würde. Wenn du hier bleibst, regst du dich nur unnötig auf.«
»Trotzdem wäre ich lieber bei dir«, beharrte er.
»Und mir wäre es angenehmer, du würdest dieses Bedürfnis etwas später verspüren, wenn ich deine Gesellschaft wirklich brauchen werde!« In sanfterem Ton fügte sie hinzu: »Liebster, tu mir den Gefallen.«
Da erhellte sich seine Miene ein bisschen. »Wie sollte ich dir eine Bitte abschlagen, die du so eindringlich aussprichst?«
Kassandra begleitete ihn zur Tür. Impulsiv forderte sie ihn auf: »Schick doch einen Lakaien zu Royce. Die nächsten Stunden möchte er wahrscheinlich hier verbringen. Und er würde dir beistehen.«
Auf Akora würde man keinen werdenden Vater allein lassen. Das wussten sie beide. Dort würden ihm seine engsten Freunde Trost spenden, vor allem die Krieger, die bereits Kinder hatten. Obwohl in England andere Sitten und Gebräuche herrschten, würde Royce Verständnis für die Angst seines Schwagers zeigen. Davon war Kassandra fest überzeugt.
»Auch er wird sich Sorgen machen«, wandte Alex ein.
»Dann sorgt euch eben gemeinsam. Aber dazu habt ihr keinen Grund.«
Unsicher nickte er, und sie las in seinen Augen den verzweifelten Wunsch, ihr zu glauben.
Wie kompliziert die Liebe ist, dachte sie, nachdem er aus dem Zimmer gegangen war. Einerseits eine Quelle großer Kraft und Freude, andererseits eine Fessel. Kein Mensch, der wahrhaft liebt, wird jemals wieder in Freiheit leben.
Von dieser Erkenntnis erfüllt, kehrte sie zu Joanna zurück. Doch der Gedanke wurde sofort von der unwiderstehlichen Macht praktischer weiblicher Vernunft verdrängt.
Während Joanna auf und ab wanderte und gelegentlich innehielt, um ihre Hände gegen eine Wand zu stemmen, schwatzten die Frauen über alles und nichts. Nur ein einziges Thema wurde geflissentlich gemieden – die Geburt eines Kindes. Stattdessen tauschten sie amüsante Erinnerungen aus, sprachen über geliebte Menschen, die gestorben waren, über die Launen des Wetters, sogar über das Zwitschern der Vögel in den Zweigen vor den Fenstern.
»Für die Stare ist es ein gutes Jahr«, bemerkte Mrs. Mulridge. »Für die Tauben nicht.«
»Ebbe und Flut«, sagte Elena. »Das sieht man überall. Vor fünf Jahren wimmelte es auf Akora von Hasen. Sobald man Ilius oder die größeren Dörfer verließ, stolperte man geradezu über die Tiere. Scharenweise hoppelten sie über die Straßen, aus jedem Gebüsch spähten sie hervor. In den nächsten Jahren gab es immer weniger Hasen, und jetzt hat sich die Lage anscheinend normalisiert.«
»Das Rotwild auf Hawkforte vermehrt sich genauso unerwartet«, murmelte Joanna. »Und dann verringert sich die Anzahl wieder …« Offenbar versuchte sie, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. Doch sie wurde von neuen, schmerzhaften Wehen abgelenkt, die ihren Körper heftig erschütterten.
»Ganz ruhig, Mylady«, mahnte Elena. »Das machen Sie sehr gut.«
»Keine Ahnung, wie lange ich das noch aushalte …«, klagte Joanna
»So lange wie nötig«, versicherte ihr die akoranische Heilkundige. »Es ist ein sehr starkes Baby, das endlich zur Welt kommen will. Bedenken Sie doch – heute wird sie oder er zum ersten Mal das Tageslicht erblicken, atmen und die Liebkosungen der Mutter spüren.«
» Sie « , stöhnte Joanna. Von
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