Insel meiner Sehnsucht Roman
Biegung passierten, rannten einige Männer zu dem gestürzten Fahrer, der den Unfall glücklicherweise überlebt hatte, und halfen ihm auf die Beine. Leicht benommen hinkte er aus der Arena. Mehrere Reiter, auf solche Ereignisse vorbereitet, trieben die herrenlosen Pferde durch einen Tunnel in ein Gehege. Kurz nachdem die Krise überwunden war, begann die zweite Runde.
Atreus nahm wieder die Spitzenposition ein und bewies seine außergewöhnlichen Fähigkeiten, aber auch eine gewisse Risikobereitschaft. Wie alle anderen war Kassandra aufgestanden. Im Ganzen mussten fünf Runden zurückgelegt werden. Wenn ihr Bruder die Führung behielt …
Donnernd stürmten die Hufe dahin, die Körper der Pferde streckten sich, von straffen Zügeln und starken Händen gebändigt. Nahe der ersten Kurve drosselte Atreus das Tempo ein wenig, die Taktik eines erfahrenen Wagenlenkers. Ermutigend schrie er sein Gespann an.
Nach der Biegung vergrößerte sich sein Vorsprung um zwei – nein, drei Meter. Und dann …
Ohrenbetäubender Lärm erfüllte die Arena, erschütterte die steinernen Sitzreihen, den Boden, die Luft. Kassandra sah, dass die Leute ringsum den Mund öffneten. Die Schreie hörte sie nicht. Verzweifelt versuchte sie, sich zu bewegen. Aber sie stand wie gelähmt da.
Von einer solchen Erstarrung wurde Royce nicht erfasst. Er griff nach beiden Frauen, achtete sorgsam auf Amelia, die im Arm ihrer verstörten Mutter lag, und drückte sie zu Boden. »Bleibt da unten«, befahl er, »bis wir sicher sind, dass nicht noch mehr geschieht.«
Wie aus weiter Ferne vernahm Kassandra seine Stimme. Seine Worte ergaben keinen Sinn. Noch mehr?
Es spielte ohnehin keine Rolle, denn jetzt erfasste sie die grausige Situation. In ihren Ohren gellte das schrille Wiehern verletzter Pferde, vermischt mit Schmerzensschreien. Ein Teil der Mauer, die das Stadion umgab, war zusammengebrochen und hatte die Fahrer mitsamt ihren Gespannen unter sich begraben. Von allen Seiten eilten Helfer herbei, schoben die schweren Steinbrocken beiseite und bargen die Verwundeten.
» Atreus! « Aufgeregt packte Joanna den Arm ihrer Schwägerin. »Hast du Atreus gesehen?«
»Nein … Vorhin war er da drüben.« An der Stelle, wo die Mauer eingestürzt war …
Zu dieser Erkenntnis gelangten auch andere, aus zahlreichen Kehlen rang sich ein Schreckensruf. » Der Vanax! «
Der Erwählte. Der Mann, auf den die Akoraner bauten, der ihre Vergangenheit bewahren und sie zugleich in die Zukunft führen würde, ein lebendes Bindeglied zwischen allem, was gewesen war, und allem, was kommen sollte.
Ein zerbrochenes Glied?
Nein!, protestierte Kassandras innere Stimme. Unmög lich! Das hatte sie nicht vorausgesehen, das durfte nicht sein.
Und was um alles in der Welt war geschehen?
»Warte hier, Joanna! Pass auf Amelia auf!«
»Wohin gehst du?«
»Sorg dich nicht um mich, ich muss Atreus suchen.« Kas sandra lief bereits die Treppe hinab. Und Royce … Irgend wo im Getümmel würde sie ihn finden und ihm beistehen, so gut sie es vermochte.
Während sie sich einen Weg durch das Gedränge bahnte und nach Royce Ausschau hielt, verfolgte sie der beklemmende Gedanke immer noch. In all den Visionen – warum hatte sie die Gefahr, die Atreus drohte, nicht gesehen?
Nicht nur ihm … Nun entdeckte sie ein halbes Dutzend Verletzte, die vorsichtig auf die Sandbahn gelegt wurden. Vier waren bei Bewusstsein und stöhnten vor Schmerzen, die beiden anderen rührten sich nicht. Unter der Schar, die sich um die Verwundeten bemühte, entdeckte Kassandra auch Elena, ruhig und gelassen im Chaos, und eine leichenblasse Brianna.
Noch mehr Männer wurden aus dem Schutt geholt, und Kassandra fürchtete, darunter würden sich einige Tote befinden. Ein paar Pferde waren verendet. Um sie würde man ebenfalls trauern, denn die Akoraner liebten ihre Pferde. Aber vorerst mussten sie sich um die überlebenden Menschen kümmern.
Da Kassandra zu schwach war, um die Trümmer zu entfernen, stand sie den Rettern nicht im Weg. Inzwischen hatten sie eine Kette gebildet, rasch wanderten die großen Steinbrocken von einer Hand zur anderen. Nun half ihnen die kriegerische Ausbildung, die fast jeder Akoraner genoss, und sie arbeiteten diszipliniert zusammen.
Durch die immer noch aufgewirbelten Staubwolken sah sie Royce. Schweißüberströmt, voller Schmutz, wälzte er mit Andrews Hilfe einen der größeren Steinblöcke zur Seite. Dann kniete er nieder und griff ins Geröll, das darunter zum Vorschein
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