Insel meiner Sehnsucht Roman
räusperte sich. »Ach, ein Insekt? Tatsächlich? Sind Sie sicher, dass es nicht was Größeres war?« Er neigte sich zu ihr, so dass nur sie die nächsten Worte hörte. »Etwas, das viel größer war, Prinzessin, und – sagen wir – sehr attraktiv?«
Erfolglos bekämpfte sie das Blut, das ihr brennend in die Wangen stieg, und heuchelte lebhaftes Interesse für die Kuchen und Früchte, die auf Holzplatten angerichtet waren. »Daran erinnere ich mich nicht«, murmelte sie und erduldete sein leises Gelächter, so gut sie es vermochte.
Nach dem Frühstück ritten sie auf gewundenen Straßen, die zwischen den Feldern hindurchführten, landeinwärts. Im hellen Sonnenschein, so golden, wie sich die Ernte ankündigte, verflog Kassandras Verlegenheit, und sie genoss Royces Gesellschaft. Bis zum Nachmittag hielten sie mehrmals an, um das Getreide zu segnen und mit Einheimischen zu sprechen.
Sie wurden überall freundlich empfangen, und die Leute versicherten, sie würden täglich für die Genesung des Vanax beten.
An diesem Abend baute man die Zelte am Ufer eines Sees auf, den duftende Pinien umgaben. Auch die zweite Nacht verbrachte Kassandra nicht allein, und am nächsten Tag erreichten sie die berühmten Pferdeweiden von Leios.
Als sie am Wiesenrand entlangritten, erklärte Kassandra: »Der Boden besteht aus einer dicken Lehmschicht. Hier wächst ein ganz besonderes Gras, das die Knochen der Pferde zu stärken scheint.«
Royce nickte und beobachtete die schönen Tiere, die dahingaloppierten oder friedlich weideten. Wieder einmal fühlte er sich an sein Zuhause erinnert. »Wie auf dem Lehmboden von Hawkforte und in Irland. Auch dort wachsen kraftvolle Pferde heran.«
»Auf Leios werden Pferde für ganz Akora gezüchtet. Angeblich huldigen die Menschen hier dem Pferdegott, nicht dem Bullengott wie im übrigen Inselreich.«
»Unterscheiden sich die beiden so sehr?«
»Eigentlich nicht. Die Leute brauchen einfach nur einen Glauben, der mit ihrem vertrauten Alltag zusammenhängt.«
Bald danach zügelten sie ihre Pferde im Hof eines großen Landguts. Ein Mann eilte ihnen entgegen, und Royce erkannte Goran, einen Ratsherrn, der nach der Explosion heimgekehrt war, weil er seinen Angestellten helfen wollte, die Tragödie zu verkraften.
»Willkommen, Prinzessin!«, rief er. »Ihr Besuch ehrt uns. Hoffentlich hatten Sie eine angenehme Reise.«
»Oh ja.« Kassandra stieg ab und lächelte das kahlköpfige, schmächtige Ratsmitglied an. »Wie geht es Ihnen, Goran?«
Achselzuckend breitete er die Arme aus. »So tröstlich mir der heimische Herd in diesen schweren Zeiten auch erscheint – ich fühle mich hin- und hergerissen, weil ich glaube, ich hätte in Ilius bleiben müssen.«
»Wenn es an der Zeit ist, werden Sie's wissen und zu uns kommen«, meinte sie zuversichtlich. Atreus hatte Goran stets als anständig bezeichnet. Und sie sah keinen Grund, am Urteil ihres Bruders zu zweifeln.
»Wie wir hören, hat sich der Zustand des Vanax nicht geändert.«
»Weder zum Besseren noch zum Schlechteren. Er befindet sich guten Händen.«
»Davon bin ich fest überzeugt. Elena hat meine liebe Frau während einer schwierigen Niederkunft gerettet. Keine Ahnung, was wir ohne sie gemacht hätten …« Für ein paar Sekunden hing er jenen beklemmenden Erinnerungen nach und seufzte tief auf, dann fasste er sich wieder. »Wenn Sie mich begleiten würden – ich möchte Ihnen drei Fohlen zeigen.«
Kassandra und ihre Eskorte folgten ihm in den Stall. Erst vor wenigen Stunden geboren, lag eines der Tiere neben seiner Mutter im Stroh. Die beiden anderen waren schon einige Tage alt und tummelten sich in einem Gehege. Auf spindeldürren, aber kräftigen Beinen sprangen sie umher. Doch sie entfernten sich nicht allzu weit von ihren Müttern, die ihnen geduldig und nachsichtig zuschauten.
»Da drüben, dieser muntere Bursche …« Royce zeigte auf ein Fohlen mit einem weißen Fleck zwischen den Augen. »So ähnlich sieht ein Pferd aus, das letztes Jahr auf Hawkforte geboren wurde – ein viel versprechender Hengst.«
»Soll er an Wettrennen teilnehmen, Lord Hawk?«, fragte Goran.
»Wahrscheinlich, nur für ein oder zwei Jahre, danach wird er bei der Zucht eingesetzt.«
»Kein schlechtes Leben«, meinte Goran grinsend, und Royce lachte.
Schweigend gönnte Kassandra ihnen die typisch männliche Belustigung.
»Gibt es in England wilde Pferde?«, erkundigte sich Goran etwas später auf dem Weg zum Haus, in dem seine Gäste übernachten
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